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Rechtsprechung Bundesgerichtshof im Familienrecht und Erbrecht (2022) - FD-Platzhalter-kantig

Rechtsprechung Bundesgerichtshof im Familienrecht und Erbrecht (2022)

Rechtsprechung Bundesgerichtshof im Familienrecht und Erbrecht (2022) - FuR2022logo02



Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Verschulden des Prozeßbevollmächtigten bei Einlegung eines unstatthaften Rechtsbehelfs; Pflicht zu der rechtzeitigen Erteilung eines Hinweises an die Partei; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BGB § 280; ZPO §§ 85, 233, 234, 321a, 522, 575; GG Art. 103

1. Wird die Frist zu der Einlegung eines Rechtsmittels deshalb versäumt, weil der Prozeßbevollmächtigte der Partei zuvor einen unstatthaften Rechtsbehelf (hier: Anhörungsrüge) eingelegt hat, dann liegt hierin regelmäßig ein der Partei zuzurechnendes), einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehendes, Verschulden da von einem Rechtsanwalt erwartet wird, daß er das Rechtsmittelsystem der jeweiligen Verfahrensart kennt (Anschluß an Senatsurteil NJW 1992, 2413 unter I. 2. c); NZM 2016, 767 Tz. 5 f; NJW 2017, 1112 Tz. 12).
2. Das Gericht, bei dem der unstatthafte Rechtsbehelf eingeht, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, der Partei einen Hinweis so rechtzeitig zu erteilen, daß diese in die Lage versetzt wird, das eigentlich statthafte Rechtsmittel noch fristgerecht einzulegen (Anschluß an BVerfG NJW 2001, 1343; BGH NJW-RR 2004, 1364 unter II. 2. a); Beschluß vom 6. Mai 2009 - KZR 7/08 - juris Tz. 17, und Senat NJW 2016, 2042 Tz. 31).

BGH, Beschluß vom 11. Januar 2022 - VIII ZB 37/21 - LG Duisburg [13 S 139/20 - juris]
NJW-RR 2022, 346 = MDR 2022, 390 = IBR 2022, 211 = MDR 2022, 745 = ZAP EN-Nr. 163/2022 = FamRZ 2022, 545 [Ls] = StE 2022, 105 [Ls] = ErbR 2022, 431 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 140 [Ls] = VRR 2022, 2 [Ls]

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Verfahrensrecht; Klagerücknahme; Berücksichtigung materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche im Rahmen der Kostenentscheidung.
ZPO § 269

1. Die Vorschrift des § 269 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 Alt. 2 ZPO läßt die Berücksichtigung materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche - soweit diese nicht auf einer Einigung zwischen den Parteien über die Tragung der prozessualen Kostenlast (Vergleich oder Kostenverzicht) beruhen - nicht zu (Bestätigung Senatsurteil NJW 2011, 2368 Tz. 12; BGH NJW-RR 2005, 1662 unter II. 2. b), 2010, 1476 Tz. 10, jeweils mwN).
2. Ein weiter reichendes Verständnis dieser Vorschrift ist auch unter Beachtung der gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestehenden Schranken für die nachfolgende Geltendmachung eines - der zuvor ergangenen prozessualen Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO entgegen gerichteten - materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs des (ehemaligen) Klägers gegen den (ehemaligen) Beklagten nicht geboten, denn eine prozessuale Kostenentscheidung läßt grundsätzlich noch Raum für die Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche auf Kostenerstattung, etwa aus Vertrag, wegen Verzugs oder aus unerlaubter Handlung (Bestätigung Senatsurteil NJW 2011, 2368 Tz. 10 mwN).

BGH, Beschluß vom 11. Januar 2022 - VIII ZB 44/21 - LG Mönchengladbach [4 T 57/21 - juris]
NJW 2022, 1393 = JurBüro 2022, 204 = MDR 2022, 525 = WuM 2022, 237 [875] = ZfSch 2022, 340 = FamRZ 2022, 721 [Ls] = ErbR 2022, 538 [Ls] = FA 2022, 121 [Ls]

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Personenstandsrecht; Nachbeurkundung einer Auslandsgeburt; Anerkennung einer ausländischen Entscheidung zu der rechtlichen Elternstellung der Wunscheltern bei einer im Ausland durchgeführten Leihmutterschaft; Mußbeteiligte des gerichtlichen Personenstandsverfahrens; Eintragung lediglich biologischer oder genetischer Eltern in dem Geburtenregister.
FamFG §§ 7, 108, 109; PStG §§ 21, 36, 51

1. Zu der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung zur rechtlichen Elternstellung der Wunscheltern bei einer im Ausland (hier: Kalifornien) durchgeführten Leihmutterschaft im Rahmen der Nachbeurkundung einer Auslandsgeburt.
2. Als sogenannte Mußbeteiligte sind zu dem gerichtlichen Personenstandsverfahren nach § 51 Abs. 1 S. 1 PStG in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG die Personen hinzuzuziehen, die in dem Geburtenregister eingetragen werden sollen. Das können auch andere als die in der Geburtsanzeige oder im Beurkundungsantrag genannten Eltern sein, wenn deren Eintragung beabsichtigt ist. Sonstige Dritte, deren Eintragung nicht beabsichtigt ist (hier: die ausländische Leihmutter und deren Ehemann), sind nur dann zu dem Verfahren hinzuzuziehen, wenn sie eine rechtliche Elternstellung für sich in Anspruch nehmen (Anschluß an BGHZ 203, 350 = FamRZ 2015, 240 = FuR 2015, 227, und BGH FamRZ 2018, 1846 = FuR 2018, 667).
3. Die Eintragung lediglich biologischer oder genetischer Eltern in dem Geburtenregister ist nicht zulässig.
4. Weist eine ausländische Entscheidung (hier: des Superior Court of California, County of San Diego) in dem Falle der Leihmutterschaft die rechtliche Elternstellung den Wunsch- oder Bestelleltern zu, ergibt sich aus diesem Umstand für sich genommen jedenfalls dann noch kein Verstoß gegen den deutschen ordre public, wenn ein Wunschelternteil - im Unterschied zu der Leihmutter - mit dem Kind genetisch verwandt ist.

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 142/20 - Kammergericht [FamRZ 2020, 1495]
FamRZ 2022, 629 = NJW 2022, 2273 = NZFam 2022, 422 = FamRB 2022, 188 = StAZ 2022, 147 = MDR 2022, 502 = FF 2022, 174 [Ls] = ErbR 2022, 537 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Pflicht des Beschwerdegerichts zur erneuten Anhörung des Betroffenen mangels ausreichender Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens.
FamFG §§ 68, 278, 288; GG Art. 103

1. Zu der Pflicht des Beschwerdegerichts, in einem Betreuungsverfahren die Anhörung des Betroffenen zu wiederholen, wenn diesem das Sachverständigengutachten vom Betreuungsgericht nicht ausreichend bekanntgegeben worden ist.
2. Das Beschwerdegericht darf von einer erneuten Anhörung des Betroffenen nicht gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG absehen, wenn das Betreuungsgericht das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin an den Betroffenen bekanntgegeben, und auch den Verfahrenspfleger nicht aufgefordert hat, das an ihn übersandte Gutachten mit dem Betroffenen zu besprechen.

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 370/21 - LG Hamburg [301 T 194/21]
MDR 2022, 720 = ErbR 2022, 656 [Ls]

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Familienvermögensrecht; Zugewinngemeinschaft; Zugewinnausgleich; Stufenantrags zum Zugewinnausgleich; Bemessung der Beschwer bei Abwehr der Verpflichtung zur Auskunfterteilung und Belegvorlage.
BGB § 1379; FamFG § 61

1. Belege, die ein Auskunftspflichtiger vorlegen soll, müssen in dem Titel bezeichnet, und daher jedenfalls in den Entscheidungsgründen konkretisiert werden (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 770 = FuR 2021, 378).
2. Hat die Auskunftsverpflichtung, gegen die sich der Rechtsmittelführer zur Wehr setzt, keinen vollstreckbaren Inhalt, erhöht sich die Beschwer um die mit der Abwehr einer insoweit ungerechtfertigten Zwangsvollstreckung verbundenen Kosten (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 770 = FuR 2021, 378).

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 418/21 - OLG Zweibrücken [6 UF 28/21]
FamRZ 2022, 649 = FuR 2022, 274 = NJW-RR 2022, 433 = FamRB 2022, 170 = MDR 2022, 454 = NZFam 2022, 314 = FF 2022, 173 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Sicherstellung der Teilnahme des Verfahrenspflegers an der Anhörung des Betroffenen.
FamFG §§ 276, 278, 294

Hält das Betreuungsgericht in einem Verfahren auf Aufhebung einer Betreuung die Bestellung eines Verfahrenspflegers für erforderlich, muß es grundsätzlich durch die rechtzeitige Bestellung des Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung von dem Anhörungstermin sicherstellen, daß dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2020, 1305 = FuR 2020, 593).

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 442/21 - LG Osnabrück [3 T 425/21]
FamRZ 2022, 982 = MDR 2022, 588 = BtPrax 2022, 111 [Ls]

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Personenstandsrecht; Nachbeurkundung einer Auslandsgeburt; Anerkennung der Vaterschaft nach einer anderen als der zu der Feststellung der gesetzlichen Vaterschaft führenden Rechtsordnung; Beseitigung einer nicht der leiblichen Abstammung entsprechenden Vater-Kind-Zuordnung; Beurkundung eines von dem Antrag abweichenden Eintrags.
BGB § 1592; EGBGB Art. 4, Art. 19, Art. 20; PStG §§ 21, 36, 49

1. Führt eine der nach Art. 19 Abs. 1 EGBGB anwendbaren Rechtsordnungen zu der gesetzlichen Vaterschaft eines Mannes, so wird dadurch die Anwendung einer anderen Rechtsordnung auf eine erst später erklärte Anerkennung der Vaterschaft eines anderen Mannes regelmäßig ausgeschlossen (Anschluß an Senatsbeschluß BGHZ 215, 271 = FamRZ 2017, 1687 = FuR 2017, 610). Das gilt auch dann, wenn das die gesetzliche Vaterschaft ergebende Aufenthaltsstatut gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB aufgrund eines erstmals nach der Geburt begründeten gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes anwendbar ist (Fortführung von Senatsbeschluß BGHZ 221, 300 = FamRZ 2019, 892 = FuR 2019, 416).
2. Verweist eine nach Art. 19 Abs. 1 EGBGB berufene Rechtsordnung auf ein anderes ausländisches Recht weiter, oder auf das deutsche Recht zurück, so bleibt diese Verweisung unbeachtlich, wenn sie zu dem Wegfall einer sich aus dem von Art. 19 Abs. 1 EGBGB zunächst berufenen Recht ergebenden Vaterschaft führt (Anschluß an Senatsbeschluß BGHZ 215, 271 = FamRZ 2017, 1687 = FuR 2017, 610).
3. Daß dadurch sogenannte hinkende Rechtsverhältnisse entstehen können, ist als Konsequenz der von dem Gesetz bewußt vorgesehenen Mehrfachanknüpfung hinzunehmen. Eine nicht der leiblichen Abstammung entsprechende Vater-Kind-Zuordnung kann nur im Wege der Anfechtung nach dem gemäß Art. 20 EGBGB anwendbaren Statut beseitigt werden (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2017, 1848 = FuR 2018, 37).
4. Steht die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes fest, ist die Auslandsgeburt nach § 36 PStG auch dann zu beurkunden, wenn der Eintrag gemäß § 21 PStG von dem Antrag auf Nachbeurkundung abweicht. Anderes gilt in dem gerichtlichen Verfahren für den Anweisungsantrag nach § 49 PStG, der für das Gericht bindend ist.

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 562/20 - Kammergericht [FamRZ 2021, 438]
FamRZ 2022, 624 = FuR 2022, 383 = NJW-RR 2022, 508 = NZFam 2022, 253 = FamRB 2022, 187 = StAZ 2022, 143 = MDR 2022, 706 = BWNotZ 2022, 141 = FF 2022, 175 [Ls] = ErbR 2022, 537 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; wiederholte Beschwerde; Zurückweisung der sofortigen Beschwerde aus sachlichen Gründen; Zulässigkeit ihrer Wiederholung.
ZPO §§ 567, 574, 793, 802g

Weist das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde aus sachlichen Gründen zurück, dann ist ihre Wiederholung auch während der noch laufenden Beschwerdefrist unzulässig.

BGH, Beschluß vom 13. Januar 2022 - I ZB 30/21 - LG Kiel [13 T 3/21]
NJW-RR 2022, 570 = MDR 2022, 659 = WM 2022, 520 = FamRZ 2022, 802 [Ls] = ErbR 2022, 539 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 188 [Ls]

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Familienvermögensrecht; Erbrecht; Anspruch auf Auszahlung eines Sparguthabens; Vorlage der Kraftloserklärung des Sparbuchs durch den Anspruchsteller als Indiz für eine infolge der Auszahlung des Sparguthabens erfolgte Entwertung oder Vernichtung des Sparbuchs.
BGB §§ 488, 700, 808; ZPO § 286; FamFG § 483

Legt der Anspruchsteller das Sparbuch nicht im Original, sondern nur einen Ausschließungsbeschluß vor, mit dem das Sparbuch für kraftlos erklärt worden ist, ist dies ein starkes Indiz für eine infolge der Auszahlung des Sparguthabens erfolgte Entwertung oder Vernichtung des Sparbuchs, unabhängig davon, ob das Kreditinstitut sich an dem Aufgebotsverfahren beteiligt hat oder nicht (Ergänzung zu Senat BGHZ 151, 47, 50 = NJW 2002, 2707).

BGH, Urteil vom 18. Januar 2022 - XI ZR 380/20 - OLG Dresden [MDR 2020, 1191]
BGHZ 232, 215 = NJW 2022, 1170 = NJW-Spezial 2022, 168 = ZIP 2022, 422 = MDR 2022, 447 = ZEV 2022, 294 = ErbR 2022, 590 = WM 2022, 376 = WuB 2022, 145 = BKR 2022, 449 = FamRZ 2022, 996 [Ls] = BB 2022, 450 [Ls] = ZBB 2022, 138 [Ls] = EWiR 2022, 225 [Ls] = VuR 2022, 238 [Ls]

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Umgangsrecht; Umgang des Kindes mit den Eltern; Abänderung eines in einem Umgangsrechtsverfahren vereinbarten Wechselmodells.
BGB §§ 1684, 1696; FamFG §§ 76, 156; ZPO §§ 114 ff

Die Abänderung eines in einem Umgangsrechtsverfahren vereinbarten Wechselmodells kann nur in einem solchen Verfahren, und nicht in einem Sorgerechtsverfahren erreicht werden (Fortführung Senatsbeschlüsse BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 = FuR 2017, 253, und FamRZ 2020, 255 = FuR 2020, 166).

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZA 12/21 - OLG Dresden [FamRZ 2021, 691 = FuR 2021, 325]
FamRZ 2022, 601 = NJW 2022, 1533 = NZFam 2022, 406 = FF 2022, 207 = FamRB 2022, 180 = MDR 2022, 437 = ZKJ 2022, 184 = FF 2022, 175 [Ls] = ErbR 2022, 538 [Ls]

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Abstammungsrecht; Eltern-Kind-Verhältnis: Anspruch des adoptierten Kindes gegen seine leibliche Mutter auf Auskunft über die Person seines leiblichen Vaters; Vollstreckbarkeit eines Titels auf Auskunfterteilung.
BGB §§ 242, 275, 362, 1618a, 1755; FamFG § 111, 112, 120, 266; GG Art. 1, Art. 2

1. Anspruchsgrundlage für das Auskunftsverlangen eines Kindes gegen seine leibliche, nicht rechtliche Mutter über die Person seines leiblichen Vaters ist - trotz des von § 1755 Abs. 1 S. 1 BGB angeordneten Erlöschens des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses aufgrund Adoption - § 1618a BGB.
2. Bei einem auf § 1618a BGB gestützten Auskunftsbegehren über die Person des leiblichen Vaters handelt es sich um eine sonstige Familiensache, und damit um eine Familienstreitsache.
3. Durch die Mitteilung der leiblichen Mutter, der mögliche Erzeuger oder dessen Name sei ihr nicht bekannt, wird der Auskunftsanspruch nicht erfüllt. Eine fehlende Kenntnis kann von der Mutter aber als eine den Anspruch ausschließende Unmöglichkeit geltend gemacht werden. Dazu gehört auch der Vortrag und erforderlichenfalls der Beweis, daß sie die ihr unter den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Erkundigungen eingeholt hat (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2014, 1440 = FuR 2014, 588).
4. Ein auf Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters gerichteter Titel ist vollstreckbar; die Vollstreckung ist nicht durch § 120 Abs. 3 FamFG analog ausgeschlossen.

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZB 183/21 - OLG Stuttgart [17 UF 52/20]
BGHZ 232, 236 = FamRZ 2022, 633 = FuR 2022, 385 = NJW 2022, 1088 = NZFam 2022, 298 = FamRB 2022, 185 = MDR 2022, 371 = JAmt 2022, 209 = GesR 2022, 221 = JuS 2022, 546 = JA 2022, 692 = FF 2022, 128 [174] [Ls] = ErbR 2022, 537 [Ls]

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Verfahrenskostenhilfe; Berücksichtigung des Unterhaltsfreibetrags für ein Kind bei dessen Betreuung im paritätischen Wechselmodell.
FamFG § 76; ZPO § 115

In dem Falle der Betreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell sind von dem Einkommen eines um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Elternteils ein hälftiger Unterhaltsfreibetrag im Sinne von § 76 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 b) ZPO und der tatsächlich für das Kind gezahlte Barunterhalt abzusetzen.

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZB 276/21 - OLG Oldenburg [FamRZ 2021, 1393 = FuR 2021, 555]
FamRZ 2022, 639 = FuR 2022, 273 = NJW 2022, 1453 = FF 2022, 318 = NZFam 2022, 354 = MDR 2022, 385 = ZKJ 2022, 186 = JAmt 2022, 333 [Ls]

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Betreuungsrecht; Kosten und Gebühren; Vergütung des Berufsbetreuers; gewöhnlicher Aufenthalt des Betroffenen in einer stationären Einrichtungen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform.
VBVG § 5; SGB IX § 8

Ist im Rahmen des mit dem Betroffenen abgeschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrages nur der Bereich des Wohnens geregelt, und kann sich der Betroffene im Rahmen seines Wunsch- und Wahlrechts nach § 8 SGB IX selbst die für ihn darüber hinaus erforderlichen Eingliederungshilfeleistungen gegebenenfalls bei unterschiedlichen Trägern auswählen, dann fehlt es an einer einer stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform (Anschluß an Senatsbeschluß vom 16. Juni 2021 MDR 2021, 1157).

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZB 324/21 - LG Hannover [2 T 13/21]
FamRZ 2022, 654 = FuR 2022, 437 = JurBüro 2022, 266 = Rpfleger 2022, 249 = MDR 2022, 501 = Grundeigentum 2022, 302 = DW 2022, 94 = BtPrax 2022, 73 [Ls]

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Verfahrensrecht; Ablehnung von Richtern und Sachverständigen; Richterablehnung in einer Betreuungssache; Verbindung eines auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung gestützten Ablehnungsgesuchs mit der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde.
FamFG § 6; ZPO § 44

Wird in einer Betreuungssache ein Ablehnungsgesuch, das allein auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung gestützt ist, mit der Einlegung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde verbunden, ist dieses unverzüglich im Sinne von § 6 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO angebracht.

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZB 357/21 - LG Darmstadt [5 T 696/20]
FamRZ 2022, 644 = FuR 2022, 272 = NJW-RR 2022, 429 = MDR 2022, 719 = ErbR 2022, 395 = BtPrax 2022, 107 = FGPrax 2022, 124 = FF 2022, 175 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde: Versehentliche Änderung der Entscheidung über die Revisionszulassung in den zur Zustellung an die Prozeßbeteiligten dienenden Urteilsabschriften; Fristbeginn bei Berichtigung der Entscheidung des Berufungsgerichts in eine Nichtzulassung; Zustellung der berichtigten Abschrift an den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten; Erkundigungspflicht des bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts nach Revisionseinlegung bei Zweifeln an einer Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht.
BGB § 280; ZPO §§ 85, 87, 172, 233, 543

1. Hat das Berufungsgericht die Zulassung der Revision in der Urschrift seiner Entscheidung ausdrücklich abgelehnt, kann diese Entscheidung durch Fehler bei der anschließenden Erstellung der zu der Zustellung an die Prozeßbeteiligten dienenden Ausfertigungen oder Abschriften durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (hier: Abschrift eines Urteils, in dem die Revision ausdrücklich zugelassen worden ist) nicht inhaltlich abgeändert werden; maßgeblich ist allein die richterliche Entscheidung (Anschluß an BGH NJW-RR 2016, 1463 zur Rechtsbeschwerde).
2. Wird die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zulassung der Revision nachträglich in eine Nichtzulassung berichtigt, dann läuft die Frist zu der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde erst ab der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses (Anschluß an BGH NJW-RR 2004, 712 unter II. 1.) beziehungsweise der entsprechend berichtigten Abschrift des Berufungsurteils.
3. Die Zustellung einer berichtigten Abschrift des Berufungsurteils hat auch dann gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO an den für den Berufungsrechtszug bestellten Prozeßbevollmächtigten der Partei zu erfolgen, wenn für die Partei bereits ein bei dem Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt Revision eingelegt hat.
4. Wird der bei dem Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwalt der Partei nach Einlegung der Revision von dem Revisionsgericht darüber in Kenntnis gesetzt, daß die diesem vorliegenden Urteilsabschriften unterschiedliche Aussprüche zu der Zulassung der Revision enthalten, nach Aktenlage somit Zweifel an einer Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht bestehen, und deshalb die Verfahrensakten zu der weiteren Veranlassung an das Berufungsgericht zurückgegeben werden, entspricht es nicht der nach den Umständen gebotenen anwaltlichen Sorgfalt, über einen Zeitraum von mehreren Monaten weitere Mitteilungen abzuwarten; vielmehr hat sich der Rechtsanwalt in einem solchen Fall bei dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, zu dem die Partei aufgrund der bekannten Mandatsniederlegung keinen Kontakt hat, bei dem Berufungsgericht oder bei dem Revisionsgericht über etwaige für die weitere Prozeßführung bedeutsame Maßnahmen des Berufungsgerichts, wie die Zustellung einer berichtigten Urteilsabschrift oder eines Berichtigungsbeschlusses, zu erkundigen.

BGH, Beschluß vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 233/20 - OLG Naumburg [1 U 12/19]
NJW-RR 2022, 709 = MDR 2022, 848 = FamRZ 2022, 710 [Ls] = ErbR 2022, 539 [Ls] = FA 2022, 119 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 188 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Versäumung der Anschlußberufungsfrist; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
ZPO §§ 233 ff, 524; GG Art. 2, Art. 3, Art. 20, Art. 103

1. In die versäumte Frist zu der Einlegung der Anschlußberufung gemäß § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in analoger Anwendung der §§ 233 ff. ZPO nicht in Betracht, da sich nicht feststellen läßt, daß die fehlende Erwähnung der Frist zu der Einlegung der Anschlußberufung in der Vorschrift des § 233 S. 1 ZPO auf einer planwidrigen Regelungslücke beruht.
2. Weder der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Anspruch der Partei auf wirkungsvollen Rechtsschutz, noch das von Art. 103 Abs. 1 GG garantierte Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs erfordern bei Versäumung der Frist zu der Einlegung der Anschlußberufung eine generelle Ausdehnung des von dem Gesetzgeber nur beschränkt eröffneten Anwendungsbereichs der Vorschriften der Zivilprozeßordnung zu der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der prozessualen Waffengleichheit für beide Parteien.

BGH, Beschluß vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 359/20 -OLG München [29 U 5407/19]
FamRZ 2022, 969 = NJW 2022, 1620 = MDR 2022, 717 = ErbR 2022, 492 = IBR 2022, 330 = JZ 2022, 732 [Ls] = FA 2022, 121 [Ls]

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Personenstandsrecht; Eintragung in das Geburtenregister; einzutragender Vorname des gebärenden Elternteils bei Geburt durch einen Frau-zu-Mann-Transsexuellen im Fall der bloßen Vornamensänderung.
TSG § 5; PStG § 21; GG Art. 1, Art. 2

Zu den in dem Geburtenregister einzutragenden Vornamen des gebärenden Elternteils bei Geburt durch einen Frau-zu-Mann-Transsexuellen in dem Falle der bloßen Vornamensänderung des gebärenden Elternteils, und zu der Elternbezeichnung in der Geburtsurkunde in diesem Fall (Anschluß an Senatsbeschluß BGHZ 215, 318 = FamRZ 2017, 1855 = FuR 2017, 670).

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 127/19 - Kammergericht [FamRZ 2019, 1177]
FamRZ 2022, 701 = FuR 2022, 283 = NJW 2022, 1531 = StAZ 2022, 103 = NZFam 2022, 471 = MDR 2022, 643 = FF 2022, 174 [Ls] = ErbR 2022, 538 [Ls]

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Versorgungsausgleich; Berechnung des Ehezeitanteils in der gesetzlichen Rentenversicherung im Falle eines Besitzschutzes nach § 88 Abs. 1 S. 2 SGB VI.
VersAusglG §§ 39, 41; SGB VI § 88

Im Falle eines Besitzschutzes nach § 88 Abs. 1 S. 2 SGB VI ist der Ehezeitanteil aus der tatsächlich gezahlten höheren Rente zu errechnen (Fortführung der Senatsbeschlüsse FamRZ 1982, 33 = BGHF 2, 826; 1984, 673 = EzFamR BGB § 1587a Nr. 10 = BGHF 4, 288, und FamRZ 1997, 160).

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 175/21 - OLG Schleswig [FamRZ 2022, 177]
FamRZ 2022, 686 = FuR 2022, 321 = NZFam 2022, 558 = FamRB 2022, 176 = MDR 2022, 767 = BetrAV 2022, 214 = FF 2022, 173 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Einwurfs einer Rechtsmittelbegründungsschrift in einen Postkasten; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BGB § 280; FamFG §§ 113, 117; ZPO §§ 85, 233, 236, 294

1. Zu der im Rahmen eines Wiedereinsetzungsgesuchs mittels anwaltlicher Versicherung erfolgten Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Einwurfs einer Rechtsmittelbegründungsschrift durch den Verfahrensbevollmächtigten in einen Postkasten (Anschluß an Senatsbeschlüsse FamRZ 2020, 618 = FuR 2020, 242; 2021, 619 = FuR 2021, 213).
2. Grundsätzlich ist von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung auszugehen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten.
3. Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung in einem Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, dann muß es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten; zudem ist dann die Prüfung veranlaßt, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt.
4. Ist das der Fall, dann bedeutet die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Zeugen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung.

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 227/21 - OLG Thüringen [4 UF 454/20]
FamRZ 2022, 647 = FuR 2022, 275 = FF 2022, 161 = MDR 2022, 517 = IBR 2022, 219 = ErbR 2022, 430 [Ls] = FA 2022, 88 [Ls]

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Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Vollstreckung eines ausländischen Unterhaltstitels; Voraussetzungen des Anerkennungshindernisses der nicht ordnungsgemäßen Benachrichtigung von dem Verfahren bei nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates formal ordnungsgemäßer fiktiver Zustellung.
HUÜ Art. 22, Art. 23; AUG §§ 1, 40

1. Zu den Voraussetzungen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e) Nr. i des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 [HUÜ 2007] in dem Falle einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates erfolgten fiktiven Zustellung der Benachrichtigung von dem Unterhaltsverfahren (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1647 = FuR 2021, 671).
2. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e Nr. i HUÜ ist nicht auf die nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates formal ordnungsgemäße Zustellung der Benachrichtigung von dem Verfahren, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Antragsgegner Kenntnis von dem laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat, und deswegen seine Rechte geltend machen konnte.
3. Auch wenn eine fiktive Zustellung vielfach auf eine Fiktion der Kenntnisnahme hinausläuft, stellt sie kein generelles Anerkennungshindernis dar, denn auch in dem grenzüberschreitenden Rechtsverkehr soll nicht derjenige Antragsgegner begünstigt werden, der sich der Rechtsprechung in dem Ursprungsstaat durch Aufenthalt an einem unbekannten Ort entzieht. Daher ist in einem späteren Verfahren der Vollstreckbarerklärung im Wege einer Abwägung der schützenswerten Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners zu beurteilen, ob sich der Antragsgegner auf die seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränkende Ineffizienz der fiktiven Zustellung berufen kann.
4. Im Rahmen dieser Abwägung ist auf Seiten des Antragsgegners zu berücksichtigen, ob er die Veranlassung einer fiktiven Zustellung an ihn zu vertreten hat. Eine Anerkennung trotz fiktiver Zustellung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn er sich einer andersartigen Zustellung mutwillig entzogen, oder auf andere Weise seine Unkenntnis von dem Verfahren verschuldet hat. Im Einzelfall kann jedoch ein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers den Verursachungsbeitrag des Antragsgegners aufwiegen, und das Interesse des Antragstellers an wirksamer grenzüberschreitender Unterhaltsvollstreckung hinter das Interesse des Antragsgegners an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte zurücktreten lassen.
5. Hat sich das Gericht des Ursprungsstaates bei Ausspruch der Ehescheidung die endgültige Festsetzung des Unterhalts einschließlich des Rückstandes zu einem späteren Zeitpunkt vorbehalten, dann ist für den Antragsgegner zwar erkennbar, daß das Unterhaltsverfahren vor dem Gericht zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden kann; jedoch kann auch dann, wenn er es unterlassen hat, dem Gericht seine aktuelle Wohnanschrift mitzuteilen, obwohl er hierzu nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates verpflichtet ist, nicht festgestellt werden, daß er sich durch das Unterlassen einer solchen Mitteilung dem mehr als sieben Jahre später eingeleiteten Unterhaltsverfahren mutwillig entzogen hat, insbesondere dann, wenn der Antragsteller dem Gericht die ihm bekannte Anschrift des Antragsgegners hätte mitteilen, und so dessen Beteiligung hätte ermöglichen können.

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 280/20 - OLG Frankfurt [8 UF 280/19 - juris]
FamRZ 2022, 716 = FuR 2022, 276 = NJW-RR 2022, 868 = FamRB 2022, 174 = MDR 2022, 394

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Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Vollstreckung eines ausländischen Unterhaltstitels; Voraussetzungen des Anerkennungshindernisses der nicht ordnungsgemäßen Benachrichtigung von dem Verfahren bei nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates formal ordnungsgemäßer fiktiver Zustellung.
HUÜ Art. 22, Art. 23; AUG 2011 §§ 1, 40

1. Zu den Voraussetzungen des Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e) Nr. i des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 [HUÜ 2007]) in dem Falle einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates erfolgten fiktiven Zustellung der Benachrichtigung von dem Unterhaltsverfahren (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1647 = FuR 2021, 671).
2. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e) Nr. i HUÜ ist nicht auf die nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaats formal ordnungsgemäße Zustellung der Benachrichtigung von dem Verfahren, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Antragsgegner Kenntnis von dem laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat, und deswegen seine Rechte geltend machen konnte.
3. Auch wenn eine fiktive Zustellung vielfach auf eine Fiktion der Kenntnisnahme hinausläuft, stellt sie kein generelles Anerkennungshindernis dar, denn auch in dem grenzüberschreitenden Rechtsverkehr soll nicht derjenige Antragsgegner begünstigt werden, der sich der Rechtsprechung in dem Ursprungsstaat durch Aufenthalt an einem unbekannten Ort entzieht. Daher ist in einem späteren Verfahren der Vollstreckbarerklärung im Wege einer Abwägung der schützenswerten Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners zu beurteilen, ob sich der Antragsgegner auf die seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränkende Ineffizienz der fiktiven Zustellung berufen kann.
4. Im Rahmen dieser Abwägung ist auf Seiten des Antragsgegners zu berücksichtigen, ob er die Veranlassung einer fiktiven Zustellung an ihn zu vertreten hat. Eine Anerkennung trotz fiktiver Zustellung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn er sich einer andersartigen Zustellung mutwillig entzogen oder auf andere Weise seine Unkenntnis vom Verfahren verschuldet hat. Im Einzelfall kann jedoch ein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers den Verursachungsbeitrag des Antragsgegners aufwiegen, und das Interesse des Antragstellers an wirksamer grenzüberschreitender Unterhaltsvollstreckung hinter das Interesse des Antragsgegners an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte zurücktreten lassen.
5. Hat sich das Gericht des Ursprungsstaates bei Ausspruch der Ehescheidung die endgültige Festsetzung des Unterhalts einschließlich des Rückstandes zu einem späteren Zeitpunkt vorbehalten, dann ist für den Antragsgegner zwar erkennbar, daß das Unterhaltsverfahren vor dem Gericht zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden kann; jedoch kann auch dann, wenn er es unterlassen hat, dem Gericht seine aktuelle Wohnanschrift mitzuteilen, obwohl er hierzu nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates verpflichtet ist, nicht festgestellt werden, daß er sich durch das Unterlassen einer solchen Mitteilung dem mehr als drei Jahre später eingeleiteten Unterhaltsverfahren mutwillig entzogen hat, insbesondere dann, wenn der Antragsteller dem Gericht die ihm bekannte Anschrift des Antragsgegners hätte mitteilen, und so dessen Beteiligung hätte ermöglichen können.

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 305/19 - OLG Frankfurt [5 UF 224/17 - juris]
FamRZ 2022, 712 = FamRB 2022, 174 = JAmt 2022, 333 = FF 2022, 175 [Ls]

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Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Vollstreckung eines ausländischen Unterhaltstitels; Voraussetzungen des Anerkennungshindernisses im Falle einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates erfolgten fiktiven Zustellung der Benachrichtigung von dem Unterhaltsverfahren.
HUÜ Art. 22, Art. 23

Zu den Voraussetzungen des (hier bejahten) Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e) Nr. i des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 [HUÜ 2007]) in dem Falle einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates erfolgten fiktiven Zustellung der Benachrichtigung von dem Unterhaltsverfahren (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1647 = FuR 2021, 671).

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 306/19 - OLG Frankfurt [5 UF 227/17 - juris]
FamRB 2022, 174

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Unterbringungsrecht; Unterbringungsverfahren; Verletzung rechtlichen Gehörs durch kurzfristige Bekanntgabe eines für die Entscheidung maßgeblichen Gutachtens; Heilung im Beschwerdeverfahren.
FamFG §§ 37, 62, 68, 319, 325; GG Art. 103

1. Wurde in einer durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen nicht rechtzeitig vor seiner Anhörung bekannt gegeben, dann liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör vor (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1742).
2. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs kann nicht durch erneute Anhörung in dem Abhilfeverfahren geheilt werden, sondern nur dadurch, daß das Beschwerdegericht eine eigene Anhörung durchführt (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2022, 135 = FuR 2022, 50).

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 439/21 - LG Hamburg [301 T 369/20]
FamRZ 2022, 729 = FuR 2022, 272 = NZFam 2022, 426 = MDR 2022, 587 = BtPrax 2022, 111 [Ls]

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Strafprozeßrecht; Nebenklage; Wirksamkeit der Anschlußerklärung eines Minderjährigen; Erfordernis der Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils und deren Nachweis.
BGB § 167; StPO §§ 395, 396, 401

1. Ein wirksamer Anschluß als Nebenkläger setzt bei einem Minderjährigen die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters voraus.
2. Die Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils zu der Anschlußerklärung unterliegt, ebenso wie die Vollmacht selbst (§ 167 Abs. 2 BGB) keinem Formerfordernis.
3. Ein Nachweis der Zustimmung des Sorgeberechtigten ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Nachweise können, soweit das Gericht sie im Einzelfall für notwendig erachtet, nachgereicht werden.

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - 3 StR 465/21 - LG Osnabrück [6 Ks 4/21]
NStZ-RR 2022, 123

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Strafrecht; sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen; Anforderungen an die Individualisierung einzelner Taten einer Tatserie; rechtliche Abkömmlinge eines Mannes.
BGB §§ 1592, 1754; StGB §§ 174, 177

1. Bei der Aburteilung in Serie begangener sexueller Mißbrauchshandlungen dürfen zu der Vermeidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken an die Individualisierung der einzelnen Taten in der Entscheidung keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden, da eine Konkretisierung der jeweiligen Straftaten nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensablauf oft nicht möglich ist.
2. Das Tatgericht muß sich aber in objektiv nachvollziehbarer Weise zumindest die Überzeugung verschaffen, daß es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist. Entscheidend dabei ist nicht, daß eine - möglicherweise auf nicht völlig sicherer Grundlage hochgerechnete - Gesamtzahl festgestellt wird, sondern daß das Gericht von jeder einzelnen individuellen Straftat, die es aburteilt, überzeugt ist.
3. Ist eine Individualisierung einzelner Taten mangels Besonderheiten in dem Tatbild oder der Tatumstände nicht möglich, dann sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer das Tatgericht den Tatzeitraum eingrenzt, und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Mißbrauchstaten des Angeklagten in diesem Zeitraum gründet.
4. Im Sinne von § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind rechtliche Abkömmlinge eines Mannes adoptierte Kinder, die nach § 1754 BGB die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden erlangen, oder Kinder, die nach § 1592 Nr. 1 bis 3 BGB rechtlich einem Mann zugeordnet werden, ohne von diesem abzustammen.

BGH, Urteil vom 27. Januar 2022 - 3 StR 74/21 - LG Duisburg [32 KLs 22/18]
NStZ-RR 2022, 145

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Strafrecht; Strafprozeßrecht; Sicherungsverfahren; keine Erforderlichkeit einer Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten.
StGB §§ 63, 71; StPO §§ 413 ff

Das Sicherungsverfahren erfordert keine Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten.

BGH, Beschluß vom 2. Februar 2022 - 5 StR 390/21 - LG Kiel [8 Ks 598 Js 69673/20]
NJW 2022, 1895 = StraFo 2022, 291

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Betreuungsrecht; Ablehnung einer betreuungsgerichtlichen Unterbringungsgenehmigung; Zulässigkeit der Beschwerde des Betroffenen; Beachtlichkeit des der Unterbringung entgegenstehenden natürlichen Willens des Betroffenen.
BGB § 1906; FamFG § 59

1. Der Betroffene ist auch in dem Falle der Ablehnung einer betreuungsgerichtlichen Unterbringungsgenehmigung in seinen Rechten beeinträchtigt, so daß der Betreuer im Namen des Betroffenen eine zulässige Beschwerde einlegen kann.
2. Das gilt ungeachtet dessen, daß der Betroffene mit der Unterbringung nicht einverstanden ist. Ob der Wille des Betroffenen frei gebildet ist, und die Unterbringung hindert, ist erst im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels zu prüfen.

BGH, Beschluß vom 2. Februar 2022 - XII ZB 530/21 - LG Berlin [83 T 31/21]
FamRZ 2022, 726 = FuR 2022, 268 = NJW-RR 2022, 512 = NZFam 2022, 425 = FamRB 2022, 309 = BtPrax 2022, 106 = MDR 2022, 787 = Seniorenrecht aktuell 2022, 74 = FGPrax 2022, 125 [Ls]

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Unerlaubte Handlungen; Ersatzansprüche eines Dritten bei Tötung; Erstreckung des Haftungsausschlusses für Arbeitsunfälle auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld.
BGB § 844; SGB VII §§ 104, 105

1. Der Haftungsausschluß gemäß § 104 Abs. 1 und § 105 Abs. 1 SGB VII erfaßt auch die Ansprüche der Hinterbliebenen auf Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB.
2. Bei dem Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB und dem Schockschadensersatz handelt es sich im Hinblick auf deren Rechtsnatur und Anwendungsbereich um unterschiedliche Institute, weshalb die Erwägungen dafür, den Anspruch auf Schmerzensgeld wegen eines so genannten Schockschadens nicht gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII als ausgeschlossen zu erachten, nicht auf den Fall der Tötung eines Dritten durch einen Arbeitsunfall übertragbar sind (Abgrenzung zu BGH FamRZ 2007, 901).

BGH, Urteil vom 8. Februar 2022 - VI ZR 3/21 - OLG Koblenz [FamRZ 2021, 1335]
FamRZ 2022, 912 = NJW 2022, 1526 = VersR 2022, 586 = MDR 2022, 563 = RuS 2022, 291 = DAR 2022, 331 = ZEV 2022, 476 [211] = ArbR 2022, 207

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Nichtzulassungsbeschwerde; Bemessung der Beschwer des Rechtsmittelführers nach einseitiger Erledigungserklärung; Darlegungslast bei Geltendmachung des Sachinteresses wegen präjudizieller Wirkung der angegriffenen Entscheidung.
ZPO § 544

1. Nach einer einseitigen Erledigungserklärung richtet sich die Beschwer des Rechtsmittelführers regelmäßig nach der Summe der bis zu dem Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten; an die Stelle des Sachinteresses tritt das Kosteninteresse (Anschluß an BGH NJW-RR 1993, 765 unter II. 2. b) aa); WuM 2011, 247 Tz. 3; NJW 2015, 3173 Tz. 3; Beschlüsse vom 29. Juni 2017 - III ZR 540/16 - juris Tz. 8, und vom 10. April 2018 - II ZR 149/17 - juris Tz. 4).
2. Eine andere Beurteilung kommt unter anderem dann in Betracht, wenn aus der angegriffenen Entscheidung rechtskräftige Feststellungen zu Ansprüchen hergeleitet werden, die noch zwischen den Parteien streitig sind (Anschluß an BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 2017 - III ZR 540/16 - juris Tz. 8, und vom 10. April 2018 - II ZR 149/17 - juris Tz. 4). Grundsätzlich bestimmt in solchen Fällen allein der Umfang dieser Ansprüche die Beschwer.
3. Beruft sich ein Beschwerdeführer auf diese Ausnahme, dann hat er - innerhalb der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde - Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen, die es dem Revisionsgericht ermöglichen, die Höhe solcher Ansprüche zu bestimmen.

BGH, Beschluß vom 8. Februar 2022 - VIII ZR 38/21 - OLG Köln [5 U 80/20 - juris]
MDR 2022, 912 = NZM 2022, 370 = WuM 2022, 293 = FamRZ 2022, 802 [Ls] = ErbR 2022, 538 [Ls]

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Unterbringungsrecht; Unterbringungsverfahren in Baden-Württemberg; mündliche Erstattung des Sachverständigengutachtens im Anhörungstermin; Überzeugungsversuch als Voraussetzung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme.
FamFG §§ 278, 280; PsychKG BW § 20

1. Die Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme setzt gemäß § 20 Abs. 4 S. 2 PsychKG BW voraus, daß zuvor eine Ärztin oder ein Arzt die untergebrachte Person angemessen aufgeklärt und versucht hat, ihre auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen, und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2017, 2056 = FuR 2018, 52).
2. Wenn ein Sachverständiger sein Gutachten ausnahmsweise in dem Anhörungstermin mündlich erstattet hat, ist sicherzustellen, daß der Betroffene ausreichend Zeit hat, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen, und sich dazu zu äußern. Kann oder will sich der Betroffene in dem Anhörungstermin nach einem Hinweis des Gerichts auf die Möglichkeit einer Stellungnahmefrist hierzu nicht abschließend äußern, ist ihm gegebenenfalls das Protokoll der mündlichen Gutachtenerstattung zu übersenden, und seine Anhörung erneut durchzuführen (Anschluß an Senatsbeschluß vom 12. August 2020 - FamRZ 2020, 1770 = FuR 2020, 654).

BGH, Beschluß vom 9. Februar 2022 - XII ZB 159/21 - LG Stuttgart [19 T 49/21]
FamRZ 2022, 728 = FuR 2022, 326 = NJW-RR 2022, 722 = NZFam 2022, 715 = FamRB 2022, 231 = MDR 2022, 436 = BtPrax 2022, 105 = PaPfleReQ 2022, 41 = G+G 2022, 34

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Betreuungsrecht; Kosten und Gebühren; Vergütung des Berufsbetreuers; Vergleichbarkeit des von der BeckAkademie veranstalteten Fernlehrgangs »Berufsbetreuer(in) mit Hochschulzertifikat« mit einer Hochschulausbildung.
VBVG § 4

Der erfolgreiche Abschluß des im Jahre 2020 von der BeckAkademie in Zusammenarbeit mit der Hochschule Neubrandenburg angebotenen reformierten Fernkurses »Hochschulzertifikatskurs Rechtliche Betreuung« ist mit einer Ausbildung an einer Hochschule vergleichbar, und rechtfertigt eine Erhöhung des dem Berufsbetreuer zu vergütenden Stundensatzes nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG (Abgrenzung zu Senatsbeschluß NJW-RR 2017, 965 = FuR 2017, 571).

BGH, Beschluß vom 9. Februar 2022 - XII ZB 378/21 - LG Kassel [FamRZ 2021, 2000 - Ls]
FuR 2022, 267 = NJW-RR 2022, 866 = NZFam 2022, 474 = MDR 2022, 463 = Seniorenrecht aktuell 2022, 77 = BtPrax 2022, 111 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist wegen Fehlens eines ordnungsgemäßen Antrages auf Fristverlängerung trotz eines übersehenen und nicht beschiedenen Akteneinsichtsgesuchs; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BGB § 280; ZPO §§ 85, 233, 238, 520; FamFG §§ 113, 117

Dem Beschwerdeführer ist keine Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde zu gewähren, wenn er vor Fristablauf keinen ordnungsgemäßen Antrag auf Fristverlängerung - etwa unter Hinweis auf eine nicht gewährte Akteneinsicht - gestellt hat, mit dem diese ohne Einwilligung des Gegners gemäß § 117 Abs. 1 S. 4 FamFG in Verbindung mit § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO hätte erfolgen können (Anschluß an BGHZ 217, 199 = NJW 2018, 952).

BGH, Beschluß vom 9. Februar 2022 - XII ZB 474/21 - OLG Düsseldorf [II-6 UF 98/21]
FuR 2022, 330 = NJW 2022, 1325 = FamRB 2022, 306 = MDR 2022, 517 [684] = FamRZ 2022, 710 [Ls] = FF 2022, 175 [Ls] = FA 2022, 121 [Ls] = ErbR 2022, 540 [Ls]

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Erbrecht; Grundbuchverfahren; Tod eines Mitgesellschafters und Rechtsnachfolge in die Gesellschafterstellung bei einer im Grundbuch als Eigentümerin eingetragenen BGB-Gesellschaft; Nachweis der Befugnis des Testamentsvollstreckers zur Zustimmung zur Löschung einer auf dem Grundstück lastenden Grundschuld.
BGB § 1922; GBO §§ 19, 27, 29, 40, 47

1. Nach dem Tode des Gesellschafters einer im Grundbuch als Eigentümerin eines Grundstücks eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts stellt die Buchposition des Gesellschafters keine gesondert vererbliche Rechtsposition dar; die Rechtsnachfolge in die Gesellschafterstellung vollzieht sich insgesamt nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages.
2. a) Soll eine auf dem Grundstück einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts lastende Grundschuld nach dem Tode eines Gesellschafters mit Zustimmung des Testamentsvollstreckers und der verbliebenen Gesellschafter gelöscht werden, ohne zuvor das Grundbuch zu berichtigen, dann muß die Zustimmungsbefugnis des Testamentsvollstreckers nachgewiesen werden (Abgrenzung zu Senat NJW 2017, 3715 Tz. 16).
2. b) Der Nachweis der Zustimmungsbefugnis ist jedenfalls dann erbracht, wenn sich aus der in der Form des § 29 GBO eingereichten Zustimmungserklärung des Testamentsvollstreckers und der übrigen Gesellschafter ergibt, daß es keinen schriftlichen Gesellschaftsvertrag gibt, und besondere gesellschaftsvertragliche Abreden für den Todesfall nicht getroffen worden sind, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an diesen Angaben bestehen; eidesstattlicher Versicherungen bedarf es nicht.

BGH, Beschluß vom 10. Februar 2022 - V ZB 87/20 - Kammergericht [FamRZ 2021, 466]
FamRZ 2022, 823 = ZEV 2022, 358 = ZErb 2022, 174 = ErbR 2022, 486 = ZIP 2022, 687 = FGPrax 2022, 97 = Rpfleger 2022, 379 = MDR 2022, 509 = WM 2022, 612 = DB 2022, 861 = DNotZ 2022, 530 = NotBZ 2022, 215 = BWNotZ 2022, 106 = ZfIR 2022, 245 [Ls] = EWiR 2022, 263 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Fristversäumung infolge unvollständiger Umsetzung einer anwaltlichen Einzelanweisung zur Notierung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BGB § 280; ZPO §§ 85, 139, 233, 236, 520

1. Zu den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung infolge unvollständiger Umsetzung einer anwaltlichen Einzelweisung zu der Notierung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen im Fristenkalender durch Kanzleipersonal.
2. Ein Rechtsanwalt, der einem Angestellten eine Begründungsfrist zu der Eintragung in den Fristenkalender lediglich mündlich mitteilt, hat organisatorische Vorkehrungen dahingehend zu treffen, daß die Eintragung entweder sofort erfolgt, oder die mündliche Einzelanweisung nicht in Vergessenheit gerät, und die Fristeneintragung unterbleibt (Fortführung von BGH FamRZ 2009, 1132 = FuR 2009, 457; 2012, 863 = FuR 2012, 316).
3. Beruht das Versäumnis auf dem Versehen eines Büroangestellten, so hat die Partei alle Umstände darzulegen, die ein Organisations- oder sonstiges Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten ausschließen. Nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist ergänztes Vorbringen ist dabei grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen (Fortführung von BGH FamRZ 2012, 863 = FuR 2012, 316; NJW-RR 2017, 1142).

BGH, Beschluß vom 15. Februar 2022 - VI ZB 37/20 - LG Berlin [89 S 1/20]
FamRZ 2022, 877 = NJW-RR 2022, 855 = VersR 2022, 657 = MDR 2022, 585 = NJW 2022, 2199 [Ls] = ErbR 2022, 658 [Ls] = FA 2022, 154 [Ls]

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Verfahrenskostenhilfe; Ehescheidungsverbundverfahren; Berücksichtigung des Unterhaltsfreibetrags für ein Kind bei dessen Betreuung im paritätischen Wechselmodell.
ZPO § 115; FamFG § 76

In dem Falle der Betreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell ist von dem Einkommen eines um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Elternteils ein hälftiger Unterhaltsfreibetrag im Sinne von § 76 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 b) ZPO abzusetzen (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2022, 639 = FuR 2022, 273).

BGH, Beschluß vom 16. Februar 2022 - XII ZB 19/21 - OLG Brandenburg [9 WF 266/20 - juris]
FamRZ 2022, 707 = FuR 2022, 330 = NJW-RR 2022, 582 = JurBüro 2022, 263 = MDR 2022, 786 = FF 2022, 217 [263]

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Betreuungsrecht; Kosten und Gebühren; Vergütung des Berufsbetreuers; Vorliegen einer stationären Einrichtungen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform bei Möglichkeit der Wahl eines anderen Anbieters pflegerischer Leistungen.
VBVG § 5

Besteht für den Betroffenen aufgrund des mit dem Träger der Wohneinrichtung geschlossenen Vertrages rechtlich die Möglichkeit, einen anderen Anbieter pflegerischer Leistungen zu wählen, dann handelt es sich um keine einer stationären Einrichtung gleichgestellte ambulant betreute Wohnform. Es kommt nicht allein auf eine faktische Bindung an das Betreuungsangebot der Vermieterin, sondern nur auf die rechtliche Möglichkeit an, einen anderen Anbieter zu wählen (Fortführung Senatsbeschluß MDR 2021, 1157).

BGH, Beschluß vom 16. Februar 2022 - XII ZB 67/21 - LG Potsdam [11 T 47/20]
FamRZ 2022, 894 = FuR 2022, 436 = NZFam 2022, 664 = MDR 2022, 600 = Grundeigentum 2022, 688 = BtPrax 2022, 110 [Ls] = GesR 2022, 334 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Grenzen der Rechtspflegerzuständigkeit für die Bestellung eines Kontrollbetreuers; Behandlung einer unwirksamen Entscheidung des funktionell unzuständigen Rechtspflegers; persönliche Anhörung des Betroffenen im Verfahren auf Einrichtung einer Kontrollbetreuung.
BGB § 1896; FamFG § 26; RPflG §§ 8, 15; GG Art. 103

1. Der Rechtspfleger ist nur dann funktionell für die Bestellung eines Kontrollbetreuers zuständig, wenn sie nicht zugleich eine Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf enthält; wird dem Kontrollbetreuer diese Ermächtigung erteilt, ist das gesamte Geschäft dem Richter vorbehalten (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2017, 549 = FuR 2017, 266).
2. Die unwirksame Entscheidung des funktionell unzuständigen Rechtspflegers ist in dem Rechtsbehelfsverfahren ohne Rücksicht auf ihre inhaltliche Richtigkeit aufzuheben, und die Sache ist an den Richter des Ausgangsgerichts zur Behandlung und Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückzuverweisen (Anschluß an BGH NJW-RR 2005, 1299).
3. Entschließt sich das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht in einem Verfahren auf Einrichtung einer Kontrollbetreuung zu der Einholung eines ärztlichen Zeugnisses, und will es dieses Zeugnis als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen, dann muß es den Betroffenen grundsätzlich auch dann persönlich anhören, wenn es im Ergebnis des Verfahrens von der Bestellung eines Kontrollbetreuers absehen will (Fortführung Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1412).

BGH, Beschluß vom 16. Februar 2022 - XII ZB 355/21 - LG Nürnberg-Fürth [13 T 5391/20]
FamRZ 2022, 893 = FuR 2022, 435 = NJW-RR 2022, 651 = MDR 2022, 910 = Rpfleger 2022, 304 = BtPrax 2022, 104 = FGPrax 2022, 126 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Prüfung der Voraussetzungen für die Bestellung eines Verfahrenspflegers durch das Beschwerdegericht.
FamFG § 276

Ist in erster Instanz die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterblieben, hat das Beschwerdegericht für die Beschwerdeinstanz das Vorliegen der Voraussetzungen des § 276 Abs. 1 FamFG erneut zu prüfen, wobei es hierfür weiterhin auf den erstinstanzlichen Verfahrensgegenstand ankommt (Fortführung Senatsbeschluß FamRZ 2018, 1193 = FuR 2018, 481).

BGH, Beschluß vom 16. Februar 2022 - XII ZB 499/21 - LG Zwickau [9 T 278/20]
FamRZ 2022, 730 = FuR 2022, 326 = MDR 2022, 516 = ErbR 2022, 537 [Ls] = BtPrax 2022, 110 [Ls]

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Erbrecht; Nachweis der Erbfolge des überlebenden Ehegatten gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 GBO; von § 2077 Abs. 1 S. 2 BGB abweichende Scheidungsklausel.
BGB § 2077; GBO § 35

1. Einem Nachweis der Erbfolge des überlebenden Ehegatten gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 GBO steht nicht entgegen, daß die letztwillige Verfügung eine dem § 2077 Abs. 1 BGB entsprechende Scheidungsklausel enthält, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß deren Voraussetzungen erfüllt sind.
2. Das gilt auch dann, wenn die Scheidungsklausel abweichend von § 2077 Abs. 1 S. 2 BGB vorsieht, daß die letztwillige Verfügung bereits dann unwirksam sein soll, wenn der überlebende Ehegatte einen Scheidungsantrag gestellt hat.

BGH, Beschluß vom 17. Februar 2022 - V ZB 14/21 - OLG Karlsruhe [11 W 56/20 (Wx)]
FamRZ 2022, 988 = FuR 2022, 390 = NJW-RR 2022, 657 = FamRB 2022, 274 = MDR 2022, 769 = FGPrax 2022, 101 = ZEV 2022, 471 = ErbR 2022, 586 = ZNotP 2022, 241 = NotBZ 2022, 298 = DWW 2022, 229

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach Fehlerhäufigkeit der angewiesenen Kanzleiangestellten; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BGB § 280; ZPO §§ 85, 233

Sind eine/r/m Rechtsanwaltsangestellten in der Vergangenheit mehrere Fehler bei der Behandlung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen unterlaufen, dann darf sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht auf die Erteilung von Weisungen für die Behandlung von Fristen beschränken, sondern muß die persönliche Kontrolle der Erledigung mit umfassen.

BGH, Beschluß vom 23. Februar 2022 - IV ZB 2/21 - OLG Karlsruhe [12 U 302/20]
FamRZ 2022, 801 [Ls]

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Erbrecht; Testamentsvollstreckung; Einsetzung des einen Erbvertrag beurkundenden Notars als Testamentsvollstrecker in einem eigenhändigen Testament.
BGB §§ 2197, 2232; BeurkG §§ 7, 27

1. Zu der Einsetzung des Urkundsnotars als Testamentsvollstrecker in einem eigenhändigen Testament im Anschluß an die Beurkundung einer letztwilligen Verfügung.
2. Enthält der beurkundete Erbvertrag keine Benennung eines Testamentsvollstreckers, dann verstößt die Ernennung des Urkundsnotars zum Testamentsvollstrecker in einem von dem Erblasser im Anschluß an die Beurkundung errichteten eigenhändigen Testament nicht gegen das Mitwirkungsverbot gemäß §§ 27, 7 Nr. 1 BeurkG, da dieser Teil der letztwilligen Verfügungen des Erblassers nicht gemäß § 2232 BGB zu der Niederschrift eines Notars errichtet worden ist.
3. Wurde dieses privatschriftliche Testament dem Urkundsnotar übergeben, ohne eine notarielle Niederschrift über die Übergabe zu erstellen, wurde es auch nicht gemäß § 2232 S. 1 Alt. 2 BGB zu einem öffentlichen Testament.
4. Auch wenn der Urkundsnotar das Testament und den Erbvertrag durch Schnur und Prägesiegel fest miteinander verbunden und zusammen verwahrt hat, erstreckt sich seine Urkundstätigkeit nicht auf das eigenhändige Testament, weshalb es nicht von dem Mitwirkungsverbot der §§ 27, 7 Nr. 1 BeurkG erfaßt wird.
5. Das Gesetz verbietet weder die Ernennung des Urkundsnotars zum Testamentsvollstrecker, noch dessen Tätigwerden in diesem Amt; das Mitwirkungsverbot der §§ 27, 7 Nr. 1 BeurkG bezweckt lediglich, das Beurkundungsverfahren von Interessenkonflikten freizuhalten. Die Gestaltung der Ernennung zum Testamentsvollstrecker in einem eigenhändigen Testament stellt daher keine Umgehung des Mitwirkungsverbotes dar.
6. Der Wirksamkeit der Testamentsvollstreckerernennung in einem eigenhändigen Testament steht es auch nicht entgegen, wenn dieses in den Räumen des Notars in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Beurkundung einer letztwilligen Verfügung von dem Erblasser abgefaßt wurde, oder der Notar den Text des eigenhändigen Testamentes entworfen hat.

BGH, Beschluß vom 23. Februar 2022 - IV ZB 24/21 - OLG Düsseldorf [FamRZ 2021, 1415]
FamRZ 2022, 738 = FuR 2022, 388 = NJW 2022, 1450 = NZFam 2022, 568 = FamRB 2022, 314 = FGPrax 2022, 72 = MDR 2022, 574 = Rpfleger 2022, 327 = ZErb 2022, 179 = ZEV 2022, 402 = ErbR 2022, 483 = NotBZ 2022, 263 = RFamU 2022, 179 = RNotZ 2022, 292 [Ls]

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Familienvermögensrecht; Zugewinngemeinschaft; Zugewinnausgleich; Auskunft und Belegvorlage bei Beteiligung des auskunftspflichtigen Ehegatten an einer Partnerschaftsgesellschaft.
BGB §§ 1376, 1379

1. Zu der Auskunft und Belegvorlage im Zugewinnausgleichsverfahren bei Beteiligung des auskunftspflichtigen Ehegatten an einer Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern.
2. Bei dem Anteil an einer Partnerschaftsgesellschaft (hier: von Rechtsanwälten und Steuerberatern) handelt es sich unzweifelhaft um einen Vermögenswert des Ehegatten. Daß der Gesellschaftsanteil nicht veräußerbar ist, stellt dessen Werthaltigkeit nicht in Frage, sondern wirkt sich lediglich wertmindernd auf die Bewertung im Zugewinnausgleich aus.
3. Ist der auskunftspflichtige Ehegatte nach dem Ausscheiden aus der Partnerschaftsgesellschaft nicht gehindert, seine Mandanten auch in einer Partnerschaftsgesellschaft zu betreuen, in die er neu eingetreten ist, dann ist der sogenannte Goodwill auch dann bei der Bewertung seines Gesellschaftsanteils zu berücksichtigen, wenn dieser Goodwill von Seiten der Gesellschaft bei dem Ausscheiden eines Partners nicht entschädigt oder vergütet wird.
4. Da sich der Auskunftsanspruch auf die Zusammensetzung des Vermögens des Auskunftspflichtigen an dem Stichtag einschließlich der wertbildenden Faktoren richtet, sollen die vorzulegenden Belege eine Überprüfung der Angaben des Auskunftspflichtigen daraufhin ermöglichen, ob dieser seinen Wissensstand zu den von der Auskunft umfaßten Punkten zutreffend und vollständig mitgeteilt hat. Mithin dient die Belegvorlage insoweit vor allem dem Ausgleich des Informationsgefälles.

BGH, Beschluß vom 23. Februar 2022 - XII ZB 38/21 - OLG München [26 UF 358/20]
FamRZ 2022, 684 = FuR 2022, 329 = FamRB 2022, 210 = NJW 2022, 1255 = FF 2022, 210 = NZFam 2022, 351 = MDR 2022, 570 = DStR 2022, 788 = StE 2022, 204 [Ls] = LMK 2022, 804875 [Ls]

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Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Pfändung von Arbeitseinkommen; Berücksichtigung des von dem unterhaltsberechtigten Ehegatten des Schuldners bezogenen Mindestelterngeldes bei der Berechnung des unpfändbaren Teils.
ZPO § 850c; SGB I § 54; BEEG § 2

Das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 S. 1 BEEG ist aufgrund seiner besonderen Zweckbindung nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen.

BGH, Beschluß vom 23. Februar 2022 - VII ZB 41/21 - LG Landshut [JurBüro 2021, 498]
FamRZ 2022, 718 = NJW-RR 2022, 579 = NZFam 2022, 445 = FamRB 2022, 229 = JurBüro 2022, 209 = MDR 2022, 593 = Rpfleger 2022, 410 = ZInsO 2022, 1340 = WM 2022, 626 = WuB 2022, 279 = KKZ 2022, 138 = FA 2022, 110 [Ls]

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Verfahrenskostenhilfe für den zweiten Rechtszug in einer Familiensache; Bewilligung bereits für den ersten Rechtszug; zu erwartende Ablehnung des Verfahrenskostenhilfegesuchs bei wesentlichen Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse.
FamFG §§ 63, 117; ZPO §§ 233, 522, 574

1. Ist einem Rechtsmittelführer bereits für den ersten Rechtszug Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden, dann kann er bei im Wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen erwarten, daß auch das Gericht des zweiten Rechtszuges ihn als bedürftig ansieht.
2. Haben sich nach der erstinstanzlichen Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wesentliche Änderungen ergeben, etwa weil in dem Hauptsacheverfahren die Verwertbarkeit von Immobilienvermögen abweichend beurteilt worden ist, dann muß der Rechtsmittelführer in der Beschwerdeinstanz mit der Ablehnung des Verfahrenskostenhilfegesuchs wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2019, 2014 = FuR 2020, 53).

BGH, Beschluß vom 23. Februar 2022 - XII ZB 218/21 - OLG Karlsruhe [18 UF 175/20]
FamRZ 2022, 799 = FuR 2022, 328 = NZFam 2022, 465 = FamRB 2022, 270 = JurBüro 2022, 265 = MDR 2022, 844 = FF 2022, 217 [Ls] = ErbR 2022, 659 [Ls] = LMK 2022, 809272 [Ls]

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Betreuungsrecht; Verlängerung einer Betreuung; persönliche Anhörung der Betroffenen durch das Beschwerdegericht; Entbehrlichkeit der Einholung eines Gutachtens oder ärztlichen Zeugnisses.
FamFG §§ 278, 293, 295; GG Art. 103

1. Verschafft sich das Amtsgericht in einem Verfahren über die Verlängerung einer Betreuung den nach § 295 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 278 Abs. 1 S. 2 FamFG zwingend erforderlichen persönlichen Eindruck von einem Betroffenen erstmals in dem Abhilfeverfahren, dann darf das Beschwerdegericht nicht von dieser auch im zweitinstanzlichen Verfahren grundsätzlich gebotenen Verfahrenshandlung absehen (Fortführung von Senatsbeschluß FamRZ 2022, 135 = FuR 2022, 50).
2. Die Vorschrift des § 293 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG, nach der es in einem Verfahren über die Erweiterung einer Betreuung der Einholung eines Gutachtens oder ärztlichen Zeugnisses nicht bedarf, wenn diese Verfahrenshandlungen nicht länger als sechs Monate zurückliegen, ist in einem Verfahren über die Verlängerung einer Betreuung nach § 295 FamFG weder direkt noch entsprechend anwendbar.

BGH, Beschluß vom 23. Februar 2022 - XII ZB 424/21 - LG Karlsruhe [11 T 56/21]
FamRZ 2022, 816 = FuR 2022, 325 = NJW 2022, 1618 = BtPrax 2022, 101

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Kosten und Gebühren; Rechtsanwaltskosten; Auslösung einer Geschäftsgebühr durch eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung.
BGB §§ 280, 286; RVG § 19; RVG-VV Nr. 2300, Nr. 3100

Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auslöst, oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG zu dem Rechtszug gehört, und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats (Anschluß an BGH WM 2019, 1833).

BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 - VII ZR 320/21 -LG Wuppertal [9 S 129/20 - juris]
FamRZ 2022, 884 = NJW-RR 2022, 707 = JurBüro 2022, 244 = MDR 2022, 599 = BauR 2022, 1067 = IBR 2022, 326 = BRAK-Mitt 2022, 164 [Ls] = AnwBl 2022, 428 [Ls] = FA 2022, 156 [Ls] = ErbR 2022, 659 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 367 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Sicherstellung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen bei Bekanntgabe des Gutachtens nur an den Verfahrenspfleger; Erforderlichkeit eines konkreten Bedarfs für die Bestellung eines Betreuers.
BGB § 1896; FamFG §§ 34, 37, 68, 288

1. Sieht das Betreuungsgericht entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG von der Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen ab, kann durch die Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn zusätzlich die Erwartung gerechtfertigt ist, daß der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht. Letzteres setzt in der Regel einen entsprechenden Hinweis des Betreuungsgerichts an den Verfahrenspfleger voraus (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 385).
2. Die Erforderlichkeit einer Betreuung gemäß § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB kann sich nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit); hinzutreten muß ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1737 = FuR 2021, 614).

BGH, Beschluß vom 2. März 2022 - XII ZB 558/21 - LG Kleve [4 T 146/21 - juris]
FamRZ 2022, 891 = FuR 2022, 324 = NJW 2022, 794 = Seniorenrecht aktuell 2022, 98 = MDR 2022, 785 [Ls] = FGPrax 2022, 126 [Ls] = BtPrax 2022, 110 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; unverschuldetes Scheitern der Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax; Zumutbarkeit eines anderen Übermittlungsweges; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BGB § 280; ZPO §§ 85, 139, 233, 236, 520

War die von dem Prozeßbevollmächtigten der Partei zulässigerweise gewählte Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes an dem Tag des Fristablaufs aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gescheitert, und hält das mit dem Wiedereinsetzungsgesuch befaßte Gericht einen anderen Übermittlungsweg für zumutbar, womit der Prozeßbevollmächtigte nicht zu rechnen brauchte, dann hat das Gericht vor der Entscheidung hierauf hinzuweisen, und der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Frage der Zumutbarkeit dieses anderen Übermittlungsweges in dem konkreten Fall zu geben.

BGH, Beschluß vom 8. März 2022 - VIII ZB 45/21 - OLG Karlsruhe [19 U 62/21]
NJW-RR 2022, 853 = MDR 2022, 656 = FamRZ 2022, 967 [Ls] = NJW 2022, 2417 [Ls] = ErbR 2022, 658 [Ls] = FA 2022, 154 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 294 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Pflichten eines Rechtsanwalts bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokuments; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BGB § 280; ZPO §§ 85, 130a, 233, 520

Bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes gehört es zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen.

BGH, Beschluß vom 8. März 2022 - VI ZB 78/21 - OLG Nürnberg [2 U 649/21]
FamRZ 2022, 966 = NJW 2022, 1964 = FamRB 2022, 227 = VersR 2022, 789 = AnwBl 2022, 368 = MDR 2022, 585 [617] = IBR 2022, 379 = RDi 2022, 365 = ErbR 2022, 658 [Ls] = FA 2022, 154 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 294 [Ls] = MMR 2022, 507 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Pflichten des Rechtsmittelgerichts bei Zweifeln am rechtzeitigen Eingang einer per Telefax übermittelten Berufungsbegründung.
GG Art. 2, Art. 20, Art. 103; ZPO §§ 520, 522

1. Zu den Pflichten des Rechtsmittelgerichts bei Zweifeln an dem rechtzeitigen Eingang einer per Telefax übermittelten Berufungsbegründung.
2. Die Verwerfung einer Berufung wegen einer nicht rechtzeitig eingegangenen per Telefax übermittelten Berufungsbegründung kann keinen Bestand haben, wenn das Berufungsgericht seiner Pflicht zu der Aufklärung der mit dem Eingang der Berufungsbegründung im Zusammenhang stehenden gerichtsinternen Vorgänge nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist.

BGH, Beschluß vom 8. März 2022 - VIII ZB 96/20 - LG Wiesbaden [1 S 11/18]
FamRZ 2022, 967 = NJW-RR 2022, 644 = MDR 2022, 715 = ErbR 2022, 658 [Ls]

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Berücksichtigung der von dem Unterhaltspflichtigen auf ein Darlehen zur Finanzierung einer selbstgenutzten Immobilie zu erbringenden Tilgungsleistungen; Zumutbarkeit einer Tilgungsstreckung bei Gefährdung des Mindestunterhalts.
BGB § 1603

1. Auch bei dem Kindesunterhalt können grundsätzlich bis zu der Höhe des Wohnvorteils neben den Zinszahlungen zusätzlich diejenigen Tilgungsleistungen berücksichtigt werden, die der Unterhaltspflichtige auf ein Darlehen zu der Finanzierung einer selbstgenutzten Immobilie erbringt (Fortführung der Senatsbeschlüsse BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519 = FuR 2017, 258, und FamRZ 2022, 434 = FuR 2022, 210).
2. Überschreitet der Schuldendienst für die Immobilie den dadurch geschaffenen Wohnvorteil nicht, ist aber gleichwohl der Mindestunterhalt minderjähriger Kinder gefährdet, kann dem gesteigert Unterhaltspflichtigen zwar nicht eine vollständige Aussetzung der Tilgung, wohl aber nach den Umständen des Einzelfalles ausnahmsweise eine Tilgungsstreckung zugemutet werden. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn eine besonders hohe Tilgung vereinbart wurde, oder wenn die Immobilie bereits weitgehend abbezahlt ist.

BGH, Beschluß vom 9. März 2022 - XII ZB 233/21 - OLG Oldenburg [FamRZ 2021, 1705 = FuR 2021, 483]
FamRZ 2022, 781 = FuR 2022, 319 = NJW 2022, 1386 = NZFam 2022, 402 = FamRB 2022, 212 = FF 2022, 239 = MDR 2022, 569 = JAmt 2022, 278 = NZM 2022, 430 = JuS 2022, 778 = FF 2022, 215 [Ls] = LMK 2022, 804911 [Ls]

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Betreuungsrecht; Kosten und Gebühren; Vergütung des Berufsbetreuers; erhöhter Stundensatz nach Absolvierung eines Studiums der Wirtschaftsinformatik.
VBVG § 4

1. Bei der Prüfung, ob ein von der Betreuerin abgeschlossenes Studium der Wirtschaftsinformatik im Rahmen der Vergütung des Berufsbetreuers eine Erhöhung des Stundensatzes auf 44 € rechtfertigt, hat das Gericht die generelle Zielrichtung des Studiums, nämlich die Absolventen zu befähigen, einen spezifischen Beitrag zur breiten und schnellen Anwendung der Informatik in ökonomischen Bereichen zu leisten, daraufhin in den Blick zu nehmen, ob es Parallelen zu betreuungsrelevanten Aufgabenstellungen aufweist.
2. Das Gericht muß ausreichende Feststellungen dazu treffen, daß das von der Betreuerin absolvierte Studium in erheblichen Teilen der Ausbildungszeit betreuungsrelevantes Wissen vermittelt hat, und dies auch dem Kernbereich des Studiums zuzurechnen, und nicht nur an dessen Rand erfolgt ist.
3. Zu der Höhe der Betreuervergütung nach Absolvierung eines Studiums der Wirtschaftsinformatik an der Technischen Hochschule »Carl Schorlemmer«.

BGH, Beschluß vom 9. März 2022 - XII ZB 539/21 - LG Cottbus [7 T 170/18]
FuR 2022, 439 = JurBüro 2022, 322 = MDR 2022, 854

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Rücknahme einer beim Berufungsgericht eingelegten nicht statthaften Nichtzulassungsbeschwerde; Zuständigkeit für die zu treffende Kostenentscheidung.
ZPO §§ 516, 544

Wenn der Beschwerdeführer eine bei dem Berufungsgericht eingelegte, nach § 544 Abs. 2 ZPO nicht statthafte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vor der Abgabe der Sache an den Bundesgerichtshof zurückgenommen hat, dann ist für die entsprechend § 516 Abs. 3 ZPO zu treffende Kostenentscheidung das Berufungsgericht zuständig (Bestätigung von BGH NJW 1963, 1263 [Ls]).

BGH, Beschluß vom 15. März 2022 - X ZR 16/22 - LG Düsseldorf [22 S 97/2149 - juris]
NJW-RR 2022, 648 = FamRZ 2022, 877 [Ls] = MDR 2022, 656 [Ls] = ErbR 2022, 659 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 367 [Ls]

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Erbrecht; Nachlaßpflegschaft; Berechtigung des Nachlaßpflegers zur Ausschlagung einer in den Nachlaß des Erblassers gefallenen weiteren Erbschaft.
BGB §§ 1952, 1960

Der Nachlaßpfleger ist nicht berechtigt, mit Wirkung für die unbekannten Erben eine in den Nachlaß des Erblassers gefallene weitere Erbschaft auszuschlagen: Das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft ist ein allein dem Erben bzw. seinen Rechtsnachfolgern, den Erbeserben, persönlich zustehendes Recht.

BGH, Beschluß vom 16. März 2022 - IV ZB 27/21 - OLG Saarbrücken [5 W 39/21]
FamRZ 2022, 986 = FuR 2022, 445 = NJW 2022, 1748 = MDR 2022, 646 = FGPrax 2022, 126 = Rpfleger 2022, 395 = ZEV 2022, 341 = ErbR 2022, 594 = ZErb 2022, 262 = ZNotP 2022, 235 = DNotI-Report 2022, 78

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Bestellung eines Verfahrenspflegers im Rahmen einer verfahrensleitenden Verfügung.
FamFG § 276

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers im Betreuungsverfahren kann auch im Rahmen einer verfahrensleitenden Verfügung des Gerichts und konkludent erfolgen.

BGH, Beschluß vom 16. März 2022 - XII ZB 154/21 - LG Köln [1 T 75/21 - juris]
FamRZ 2022, 981 = FuR 2022, 438 = NJW 2022, 1686 = FamRB 2022, 272

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Betreuungsrecht; Kosten und Gebühren; Vergütung des Berufsbetreuers; Berechnung der Vergütung des ausscheidenden Betreuers bei Wechsel während eines laufenden Abrechnungsmonats.
FamFG § 287; VBVG § 5

Bei einem Wechsel des Berufsbetreuers während eines laufenden Abrechnungsmonats berechnet sich die Vergütung des ausscheidenden Betreuers zeitanteilig nach Tagen bis zu der Beendigung der Betreuung. Maßgeblich für die Beendigung ist dabei nicht der Zeitpunkt der Rechtskraft, sondern der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Entscheidung über den Betreuerwechsel.

BGH, Beschluß vom 16. März 2022 - XII ZB 248/21 - LG Darmstadt [5 T 120/21]
FamRZ 2022, 983 = FuR 2022, 440 = NZFam 2022, 567 = JurBüro 2022, 320 = MDR 2022, 664 = BtPrax 2022, 103

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Unterbringungsrecht; Unterbringungssache; Erforderlichkeit einer erneuten förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens im Beschwerdeverfahren.
FamFG §§ 68, 321

In einem Unterbringungsverfahren darf das Beschwerdegericht nicht von einer förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme absehen, wenn diese in dem ersten Rechtszug unter Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften durchgeführt worden ist.

BGH, Beschluß vom 23. März 2022 - XII ZB 24/22 - LG Düsseldorf [25 T 185/2195 - juris]
FamRZ 2022, 980 = FuR 2022, 437 = NJW-RR 2022, 721 = NZFam 2022, 566

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Versorgungsausgleich; Berechnung der Ehezeitanteile nach Statuswechsel zwischen Arbeitnehmereigenschaft und Unternehmereigenschaft; anteilige Übertragung eines Pfandrechts des ausgleichspflichtigen Ehegatten an den Rechten aus einer Rückdeckungsversicherung.
VersAusglG §§ 5, 11, 39, 40, 41, 42, 45; BetrAVG § 17

1. Zu der Berechnung der nach einem Statuswechsel zwischen Arbeitnehmereigenschaft und Unternehmereigenschaft jeweils gesondert zu ermittelnden Ehezeitanteile einer einheitlichen Versorgung.
2. Das Pfandrecht des ausgleichspflichtigen Ehegatten an den Rechten aus einer Rückdeckungsversicherung ist anteilig auf den ausgleichsberechtigten Ehegatten zu übertragen, und zwar im Umfang des zu dem Ehezeitende bestehenden Deckungsgrades an dem Ehezeitanteil, zuzüglich darauf entfallender Zinsen und Überschußanteile (Fortführung Senatsbeschluß FamRZ 2019, 1993 = FuR 2020, 362).

BGH, Beschluß vom 23. März 2022 - XII ZB 337/21 - OLG Karlsruhe [16 UF 145/18]
FamRZ 2022, 945 = NJW-RR 2022, 649 = NZFam 2022, 537 = FamRB 2022, 215 = MDR 2022, 705 = BetrAV 2022, 318 = FF 2022, 262 [Ls]

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Unterbringungsrecht; Unterbringungssache; Anordnung oder Genehmigung der Unterbringung eines Betreuten für länger als ein Jahr.
BGB § 1906; FamFG § 329

1. Zu den Voraussetzungen und Begründungsanforderungen, wenn eine Unterbringung für länger als ein Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll (Anschluß an Senatsbeschluß BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 = FuR 2018, 382).
2. Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, ist diese Abweichung von dem Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen.
3. Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben; dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der »Offensichtlichkeit«, daß die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten.

BGH, Beschluß vom 30. März 2022 - XII ZB 35/22 - LG Würzburg [3 T 1561/21]
FamRZ 2022, 1134 = MDR 2022, 840 = SuP 2022, 399

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Betreuungsrecht; Unterbringungssache; Anordnung oder Genehmigung einer Unterbringung eines betreuten Betroffenen für länger als ein Jahr.
BGB § 1906; FamFG § 329

1. Zu den Voraussetzungen und Begründungsanforderungen, wenn eine Unterbringung für länger als ein Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll (Anschluß an Senatsbeschlüsse BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 = FuR 2018, 382, und FamRZ 2021, 1242 = FuR 2021, 493).
2. Wird über die gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 FamFG regelmäßig ein Jahr betragende Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, dann ist diese Abweichung von dem Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen.
3. Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben; dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der »Offensichtlichkeit«, daß die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht deutlich erkennbar hervortreten.

BGH, Beschluß vom 30. März 2022 - XII ZB 197/21 - LG Dresden [2 T 112/21]
MDR 2022, 898

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Verfahrensrecht; Anforderungen an die formgerechte Einreichung eines elektronischen Dokuments bei Gericht.
ZPO § 130a; ERVV § 4; EUV 910/2014 Art. 3 Art. 25, Art. 26

Die Einreichung eines elektronischen Dokuments bei Gericht ist nur dann formgerecht, wenn es entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, oder von der verantwortenden Person selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird. Nicht ausreichend ist die Verwendung einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur im Zusammenhang mit einer nicht persönlich vorgenommenen Übermittlung (Anschluß an BAGE 171, 28 = FamRZ 2020, 1850).

BGH, Beschluß vom 30. März 2022 - XII ZB 311/21 - OLG Celle [19 UF 66/21]
NJW 2022, 2415 = NZFam 2022, 707 = MDR 2022, 784 = BetrAV 2022, 320 = DGVZ 2022, 162 = RDi 2022, 367 = FF 2022, 333 [Ls] = DB 2022, 1512 [Ls] = MMR 2022, 591 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 373 [Ls]

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Versorgungsausgleich; Umfang der Aufklärungspflicht des Gerichts nach Verzicht eines Ehegatten auf ein noch verfallbares Anrecht.
VersAusglG § 2; FamFG § 26

Zu dem Umfang der Aufklärungspflicht des Gerichts nach Verzicht eines Ehegatten auf ein noch verfallbares Anrecht.

BGH, Beschluß vom 30. März 2022 - XII ZB 421/21 - OLG Hamm [II-12 UF 155/19]
FamRZ 2022, 1099 = NJW-RR 2022, 793 = FamRB 2022, 255 = BetrAV 2022, 323 = WM 2022, 1060 = FF 2022, 332 [Ls]

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Betreuungsrecht; Unterbringung des Betreuten in einem psychiatrischen Krankenhaus; Erforderlichkeit einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren; Rückgabe des Verfahrens durch das Beschwerdegericht zur Nachholung der amtsgerichtlichen Anhörung.
BGB § 1906; FamFG §§ 68, 319

1. Wird in einem Unterbringungsverfahren die nach § 319 Abs. 1 S. 1 FamFG zwingend erforderliche persönliche Anhörung des Betroffenen von dem Amtsgericht erst im Abhilfeverfahren nachgeholt, dann kann das Beschwerdegericht nicht von der auch im zweitinstanzlichen Verfahren grundsätzlich gebotenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2022, 135 = FuR 2022, 50).
2. Daran ändert auch nichts, daß das Beschwerdegericht den ersten Nichtabhilfebeschluß des Amtsgerichts im Hinblick auf die unterbliebene persönliche Anhörung des Betroffenen zu dem eingeholten psychiatrischen Gutachten aufgehoben, und das Verfahren an das Amtsgericht zur Nachholung dieser Verfahrenshandlung zurückgegeben hat.

BGH, Beschluß vom 6. April 2022 - XII ZB 371/21 - LG Ansbach [4 T 688/21]
FamRZ 2022, 1133 = NJW 2022, 2189 = MDR 2022, 910

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Betreuungsrecht; Betreuungssache: Entscheidung über die Betreuerauswahl durch das Beschwerdegericht; Erforderlichkeit einer erneuten persönlichen Anhörung bei neuer Tatsachengrundlage.
BGB § 1896; FamFG §§ 68, 69, 278

1. Kommt das Beschwerdegericht in einem Betreuungsverfahren zu dem Ergebnis, daß die Einrichtung einer Betreuung erforderlich ist, dann muß es auch über die Betreuerauswahl entscheiden (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2017, 1866 = FuR 2017, 690).
2. Zieht das Beschwerdegericht in einer Betreuungssache für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage - etwa ein neues Sachverständigengutachten - heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, dann gebietet dies eine neue persönliche Anhörung des Betroffenen (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2022, 227 = FuR 2022, 100).

BGH, Beschluß vom 6. April 2022 - XII ZB 451/21 - LG Aurich [7 T 89/20]
FamRZ 2022, 1130

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Betreuungsrecht; Kosten und Gebühren; Vergütung des Berufsbetreuers; Umfang der Überprüfung der Entscheidung über die Bewilligung einer erhöhten Vergütung im Rechtsbeschwerdeverfahren.
VBVG § 4

1. Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, die gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG die Bewilligung einer erhöhten Vergütung rechtfertigen, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob er die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt, oder Erfahrungssätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 890 = FuR 2021, 373).
2. Einer solchen Überprüfung hält die tatrichterliche Würdigung stand, wonach das von dem Betreuer absolvierte Studium an der Bayerischen Beamtenfachhochschule, Fachbereich Polizei, das er mit dem akademischen Grad »Diplom-Verwaltungswirt (FH)« abgeschlossen hat, eine Vergütung nach der Vergütungstabelle C nicht rechtfertigt.

BGH, Beschluß vom 13. April 2022 - XII ZB 162/21 - LG Würzburg [3 T 364/21]
FamRZ 2022, 1136 = NJW-RR 2022, 941

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Unterbringungsrecht; Unterbringungsverfahren; Gehörsverletzung bei Anhörung des Betroffenen ohne Verfahrenspfleger und unterbliebener Bekanntgabe des Gutachtens an den Betroffenen vor der Anhörung.
BGB § 1896; FamFG §§ 37, 62, 68, 278, 280, 319, 325; GG Art. 103

1. Eine Anhörung des Betroffenen im Unterbringungsverfahren, die stattgefunden hat, ohne daß der Verfahrenspfleger Gelegenheit hatte, an ihr teilzunehmen, ist verfahrensfehlerhaft (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 144).
2. Wurde in einer durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen nicht vor der Anhörung bekannt gegeben, dann liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör vor (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 462 = FuR 2021, 149).

BGH, Beschluß vom 13. April 2022 - XII ZB 267/21 - LG Ansbach [4 T 460/21]
FamRZ 2022, 1132 = NJW-RR 2022, 865 = MDR 2022, 839

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Vormundschaft und Pflegschaft; Grundbucheintragung; notwendige Genehmigung eines Ergänzungspflegers bei Erwerb eines Miteigentumsanteils an einem vermieteten Hausgrundstück durch einen Minderjährigen.
BGB §§ 107, 181, 566, 925, 1629, 1795

1. Der Erwerb eines Miteigentumsanteils an einem vermieteten Grundstück durch einen Minderjährigen führt gemäß § 566 BGB zu dessen Eintritt in den Mietvertrag auf Vermieterseite, und ist deshalb für den Minderjährigen nicht lediglich rechtlich vorteilhaft im Sinne von § 107 BGB (Fortführung von Senat BGHZ 162, 137).
2. Dies gilt auch dann, wenn der Veräußerer den Miteigentumsanteil zuvor von dem Alleineigentümer des Grundstücks erworben hat, denn bei der Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem vermieteten Grundstück durch den bisherigen Alleineigentümer tritt der Erwerber gemäß § 566 BGB ebenfalls neben diesem in den Vertrag auf Vermieterseite ein.

BGH, Beschluß vom 28. April 2022 - V ZB 4/21 - Kammergericht [FGPrax 2021, 53]
FamRZ 2022, 1190 = MDR 2022, 885 = WM 2022, 1190 = Grundeigentum 2022, 687 = DWW 2022, 226

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Bürgerliches Recht; Heimvertrag in der Corona-Pandemie; Berechtigung der Pflegeheimbewohner zur Entgeltkürzung bei hoheitlich angeordneten Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen.
BGB § 313; WBVG § 10; ZPO § 78b; FamFG § 10

Im Rahmen der Bekämpfung der COVID 19-Pandemie hoheitlich angeordnete Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen berechtigen Bewohner eines Pflegeheims nicht zur Entgeltkürzung nach § 10 Abs. 1 WBVG. Sie stellen grundsätzlich auch keine schwerwiegende Änderung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB dar.

BGH, Beschluß vom 28. April 2022 - III ZR 240/21 - OLG Nürnberg [4 U 1292/21]
VersR 2022, 972 = MDR 2022, 809 = NZM 2022, 509 = RDG 2022, 219 = PaPfleReQ 2022, 33 = FamRZ 2022, 1227 [Ls] = GesR 2022, 474 [Ls] = LMK 2022, 809223 [Ls]

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Betreuungsrecht; Bestellung eines Betreuers; erneute Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren bei nicht mehr bestehendem Einverständnis mit der Anordnung einer Betreuung.
BGB § 1896; FamFG §§ 68, 278

Ist das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen davon ausgegangen, daß dieser der Einrichtung einer Betreuung zustimmt, und hat es sich deshalb nicht die Frage vorgelegt, ob eine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen angeordnet werden kann, dann hat das Beschwerdegericht den Betroffenen erneut anzuhören, wenn dieser mit seiner Beschwerde gegen den Betreuungsbeschluß zu erkennen gegeben hat, daß er mit der Betreuung tatsächlich nicht oder nicht mehr einverstanden ist (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2019, 1736 = FuR 2019, 665).

BGH, Beschluß vom 4. Mai 2022 - XII ZB 50/22 - LG München II [6 T 4627/21]
FamRZ 2022, 1224

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Betreuungsrecht; Bestellung eines Betreuers; Voraussetzungen einer Nichtberücksichtigung des Wunsches des Betroffenen bei der Betreuerauswahl.
BGB § 1897; FamFG §§ 68, 278

Der Wille oder Wunsch des Betroffenen kann bei der Betreuerauswahl nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohle zuwiderläuft. Dies setzt voraus, daß sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muß die konkrete Gefahr bestehen, daß der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1822 = FuR 2021, 667).

BGH, Beschluß vom 4. Mai 2022 - XII ZB 118/21 - LG Bremen [5 T 19/21]

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Versorgungsausgleich; Anforderungen an den Abänderungsantrag des überlebenden, insgesamt ausgleichspflichtigen Ehegatten; Prüfung der Auswirkung der Abänderung zugunsten des überlebenden Ehegatten.
VersAusglG §§ 31, 51; FamFG § 225

1. Für den Einstieg in das Abänderungsverfahren nach § 51 VersAusglG muß sich der überlebende, insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte grundsätzlich auf eine wesentliche und ihn begünstigende Wertänderung berufen; er kann seinen Abänderungsantrag in Bezug auf die wesentliche Wertänderung von Anrechten demgegenüber nicht allein auf solche Umstände stützen, die für ihn an sich nachteilig sind, im Ergebnis der Totalrevision aber wegen der erstrebten Anwendung von § 31 Abs. 1 S. 2 VersAusglG zu einem Wegfall des Versorgungsausgleichs insgesamt führen sollen (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2020, 743 = FuR 2020, 582).
2. Die Prüfung, ob sich die Abänderung zugunsten des überlebenden Ehegatten auswirkt, ist anhand einer Gesamtbetrachtung des Ausgleichsergebnisses vorzunehmen, das sich hypothetisch im Falle einer Totalrevision unter Lebenden ergeben hätte (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2022, 258 = FuR 2022, 216).

BGH, Beschluß vom 4. Mai 2022 - XII ZB 122/21 - OLG Frankfurt [FamRZ 2021, 1362]
FamRZ 2022, 1177 = NZFam 2022, 685 = FamRB 2022, 298 = FF 2022, 315 = MDR 2022, 897 = BetrAV 2022, 404

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Verfahrenskostenhilfe; Überprüfungsverfahren; Erhöhung des Vermögensfreibetrages für einen verheirateten Antragsteller.
ZPO § 115; SGB XII § 90

Der dem Antragsteller von Verfahrens- bzw. Prozeßkostenhilfe nach § 115 Abs. 3 S. 2 ZPO in Verbindung mit § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, § 1 S. 1 Nr. 1 DV zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zustehende Vermögensfreibetrag gilt nur für ihn selbst, und erhöht sich nicht, weil er verheiratet ist.

BGH, Beschluß vom 4. Mai 2022 - XII ZB 384/21 - LG München II [6 T 2268/21]
FamRZ 2022, 1217 = FF 2022, 334 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Teilnahme des Verfahrenspflegers an einem Anhörungstermin während der Corona-Pandemie.
BGB §§ 1896, 1897; FamFG § 278; Art. 103

1. Hört das Landgericht nur den Betroffenen an, und ist sein Verfahrenspfleger damit einverstanden, ist das verfahrensfehlerfrei.
2. Der rechtzeitig von dem Termin unterrichtete Verfahrenspfleger kann selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt.

BGH, Beschluß vom 11. Mai 2022 - XII ZB 129/21 - LG Oldenburg [8 T 225/20]
FamRZ 2022, 1225 = NJW 2022, 2335 = MDR 2022, 908

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Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels; Beschwerde mit der Begründung der Unzuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges; Exequaturverfahren.
FamFG §§ 65, 69; AUG §§ 2, 45, 58; HUVÜ

1. Die Beschwerde kann nicht darauf gestützt werden, daß das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat (§ 65 Abs. 4 FamFG, Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1908 = FuR 2022, 54).
2. Dies gilt auch im Exequaturverfahren, wenn das Beschwerdegericht in der Sache selbst entscheidet.

BGH, Beschluß vom 11. Mai 2022 - XII ZB 423/21 - OLG Stuttgart [17 UF 142/21]
FamRZ 2022, 1218 = FF 2022, 312 = MDR 2022, 908

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Unterhalt des geschiedenen Ehegatten; anwendbares Recht für nachehelichen Unterhalt; engere Verbindung der Ehe deutscher Staatsangehöriger zum Recht eines anderen Staates; befristete Aufenthalte der Ehegatten in verschiedenen Ländern.
EGV 4/2009 Art. 15; HUP Art. 3, Art. 5, Art. 8

1. Ob für eine engere Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP Anhaltspunkte von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß der gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten als in der Regel maßgeblicher Anknüpfungspunkt zurücktritt, ist eine Frage der bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden Einzelfallumstände.
2. Zu der engeren Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP bei aufgrund beruflicher Verhältnisse eines Ehegatten (»Expatriate«) jeweils befristeten Aufenthalten in verschiedenen Ländern.
3. Reiht sich der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten in einem anderen Staat in eine - durch die beruflichen Verhältnisse des Ehemannes bedingte - regelmäßige Abfolge jeweils befristeter Aufenthalte in verschiedenen Ländern ein, so kann das Recht des letzten gemeinsamen Aufenthalts nur dann zur Anwendung kommen, wenn die im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallabwägung zu berücksichtigenden weiteren Tatsachen für eine im Verhältnis zu Art. 3 Abs. 1 HUP engere Verbindung gerade zu dem Ort des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes der Ehegatten sprechen.

BGH, Beschluß vom 11. Mai 2022 - XII ZB 543/20 - OLG Karlsruhe [FamRZ 2021, 1030]
NJW 2022, 2403 = FF 2022, 334 [Ls]

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Bürgerliches Recht; Anspruch der Betreiberin einer Praxis für Ergotherapie auf Zahlung einer Ausfallpauschale für kurzfristig abgesagte Termine zur Behandlung minderjähriger Kinder; Behandlungsvertrag zwischen den Eltern und dem Behandelnden; Vergütungsanspruch bei Annahmeverzug; Vereinbarung eines Behandlungstermins als kalendermäßige Bestimmung; rechtliche Unmöglichkeit der Leistungsbewirkung bei Nichtbeachtung von Bestimmungen einer Coronaschutzverordnung.
BGB §§ 296, 297, 328, 615, 630a, 630b; CoronaVV NW 1 § 7

1. Wird ein minderjähriges Kind von seinen Eltern in einer Arztpraxis - oder wie hier in einer Praxis für Ergotherapie - zur medizinischen Behandlung vorgestellt, dann kommt der Behandlungsvertrag in der Regel zwischen den Eltern und dem Behandelnden als Vertrag zugunsten des Kindes zustande (§§ 630a, 328 BGB). Dies gilt - jedenfalls bei kleinen Kindern - auch dann, wenn diese in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert sind.
2. Die Vorschrift des § 615 BGB ist gemäß § 630b BGB auf Behandlungsverträge im Sinne des § 630a BGB anwendbar. Ein etwaiger Vergütungsanspruch gemäß § 615 S. 1 BGB richtet sich auch gegen gesetzlich krankenversicherte Patienten.
3. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Vereinbarung eines Behandlungstermins eine kalendermäßige Bestimmung im Sinne des § 296 S. 1 BGB darstellt, verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise; vielmehr sind sämtliche Umstände des jeweiligen Falles, insbesondere die Interessenlage der Parteien und die Organisation der Terminvergabe durch den Behandelnden sowie deren Erkennbarkeit für die Patienten, zu berücksichtigen.
4. Zu der rechtlichen Unmöglichkeit der Leistungsbewirkung bei Nichtbeachtung von Bestimmungen einer Coronaschutzverordnung (hier: Land Nordrhein-Westfalen).

BGH, Urteil vom 12. Mai 2022 - III ZR 78/21 - LG Kleve [6 S 139/20]
FamRZ 2022, 1192 = NJW 2022, 2269 = MDR 2022, 877 = GesR 2022, 445

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Ausgleich der kostenfreien Zurverfügungstellung von Wohnraum im unterhaltsrechtlichen Verhältnis zwischen den Eltern; Vereinbarung der Eltern über die Abdeckung der Wohnkosten durch den Naturalunterhalt des Barunterhaltspflichtigen; Haftungsquote für den anteiligen Mehrbedarf.
BGB §§ 362, 1602, 1606, 1610, 1612, 1613

1. Das mietfreie Wohnen beeinflußt nicht die Höhe des Kindesunterhalts. Die kostenfreie Zurverfügungstellung von Wohnraum wird vorrangig in dem unterhaltsrechtlichen Verhältnis zwischen den Eltern ausgeglichen. Ein unterhaltsrechtlicher Ausgleich kann auch darin bestehen, daß der Betreuungselternteil keinen Anspruch auf Trennungsunterhalt geltend machen kann, weil nach der Zurechnung des vollen Wohnwertes keine auszugleichende Einkommensdifferenz zwischen den Eltern mehr besteht.
2. Die Eltern können eine - nach den Umständen des Einzelfalles gegebenenfalls auch konkludente - Vereinbarung darüber treffen, daß die Wohnungskosten durch den Naturalunterhalt des Barunterhaltspflichtigen abgedeckt werden. Für die Erfüllung des Barunterhaltsanspruchs (§ 362 BGB) aufgrund einer solchen Vereinbarung trifft den Barunterhaltsschuldner die Darlegungs- und Beweislast.
3. Bevor die Haftungsquote für den anteiligen Mehrbedarf bestimmt wird, ist von den Erwerbseinkünften des betreuenden Elternteils der Barunterhaltsbedarf der Kinder nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzüglich des hälftigen auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldes und abzüglich des von dem Kindesvater geleisteten Barunterhalts abzusetzen. In der verbleibenden Höhe leistet der betreuende Elternteil neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt. Die andere Hälfte des Kindergeldes, die der betreuende Elternteil erhält, ist nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1965 = FuR 2022, 39).

BGH, Beschluß vom 18. Mai 2022 - XII ZB 325/20 - OLG Frankfurt [FamRZ 2021, 191 = FuR 2021, 37]
LMK 2022, 810510 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Voraussetzungen für die Bestellung eines Notanwalts beim Bundesgerichtshof.
ZPO § 78b; FamFG § 10

1. Hat eine Partei zunächst einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt mandatiert, kommt in dem Falle der späteren Mandatsniederlegung die Bestellung eines Notanwalts nur dann in Betracht, wenn die Partei die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hat. Das hat die Partei gegebenenfalls darzulegen
2. Die Bestellung eines Notanwalts kann nicht allein deshalb verlangt werden, weil ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof nicht willens war, eine Revisions- oder Beschwerdebegründung nach den Vorstellungen oder gar Vorgaben der Partei zu fertigen, oder weil er das Rechtsmittel für unzulässig oder unbegründet hält, denn es liefe dem Zweck der Zulassungsbeschränkung für Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof zuwider, wenn die Partei einen Anspruch darauf hätte, ihre Rechtsansicht gegen die des - auf das Revisionsrecht spezialisierten - Rechtsanwalts durchzusetzen.

BGH, Beschluß vom 25. Mai 2022 - IV ZR 48/22 - OLG Stuttgart [19 U 45/21]

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Verfahrensrecht; Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung der Brüssel-IIa-Verordnung im Hinblick auf Ehescheidungen; Beginn der maßgeblichen Wartefrist für den deutschen Ehemann einer polnischen Ehefrau zur Anrufung eines deutschen Familiengerichts nach seiner Rückkehr nach Deutschland.
EGV 2201/2003 Art. 3; AEUV Art. 267

Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die in Art. 3 Abs. 1 lit. a fünfter und sechster Spiegelstrich Brüssel IIa-VO vorgesehene Wartefrist von einem Jahr (sechs Monaten) für den Antragsteller erst mit der Begründung seines gewöhnlichen Aufenthaltes in dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts zu laufen beginnt, oder ob es genügt, wenn bei Beginn der maßgeblichen Wartefrist zunächst nur ein schlichter Aufenthalt des Antragstellers in dem Staat des angerufenen Gerichts besteht, und sich sein Aufenthalt erst danach in dem Zeitraum bis zu der Antragstellung zu einem gewöhnlichen Aufenthalt verfestigt.

BGH, Vorlagebeschluß vom 25. Mai 2022 - XII ZB 404/20 - OLG Hamm [I-11 UF 187/18]
NJW 2022, 2360 [Ls] = FF 2022, 334 [Ls]

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Versorgungsausgleich; Totalrevision nach § 51 Abs. 1 VersAusglG; Einstieg in eine Abänderung nach § 225 Abs. 4 FamFG.
VersAusglG § 55; FamFG § 225

Der Einstieg in eine Abänderung nach § 225 Abs. 4 FamFG ist nur dann eröffnet, wenn durch sie für eine bereits bestehende Anwartschaft eine Wartezeit erfüllt wird. Das ist nicht der Fall, wenn sich das nach der Abänderung bestehende gesetzliche Anrecht allein aus dem Versorgungsausgleich speist.

BGH, Beschluß vom 1. Juni 2022 - XII ZB 54/22 - OLG Köln [II-27 UF 64/20]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache: Erforderlichkeit einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren.
FamFG §§ 68, 278

Wird in einem Betreuungsverfahren die erforderliche persönliche Anhörung des Betroffenen vom Amtsgericht erst im Abhilfeverfahren nachgeholt, kann das Beschwerdegericht nicht von der auch im zweitinstanzlichen Verfahren grundsätzlich gebotenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2022, 1133).

BGH, Beschluß vom 15. Juni 2022 - XII ZB 13/22 - LG Darmstadt [5 T 238/21]

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Betreuungsrecht; Bestellung eines Betreuers trotz Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht; Ungeeignetheit des Bevollmächtigten mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit; Begründung einer konkreten Gefahr für das Wohl des Betroffenen.
BGB § 1896

Steht die Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, daß die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint (Anschluß an Senatsbeschlüsse FamRZ 2021, 1654, und FamRZ 2021, 1236 = FuR 2021, 495).

BGH, Beschluß vom 15. Juni 2022 - XII ZB 85/22 - LG Aurich [7 T 293/21]

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Betreuungsrecht; wiederholte Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren.
FamFG §§ 68, 278

Das Beschwerdegericht ist in einer Betreuungssache verpflichtet, die Anhörung des Betroffenen zu wiederholen, wenn die Anhörung in erster Instanz verfahrensfehlerhaft nur vor der Erstattung des der Betreuungsanordnung zugrunde liegenden Sachverständigengutachtens durchgeführt worden ist (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 385).

BGH, Beschluß vom 22. Juni 2022 - XII ZB 200/21 - LG Koblenz [2 T 647/20]

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Betreuungsrecht; Ablehnung einer betreuungsgerichtlichen Unterbringungsgenehmigung; Zulässigkeit der Beschwerde des Betroffenen.
BGB § 1906; FamFG § 59

Der Betroffene ist auch in dem Falle der Ablehnung einer betreuungsgerichtlichen Unterbringungsgenehmigung in seinen Rechten beeinträchtigt, so daß der Betreuer in seinem Namen eine zulässige Beschwerde einlegen kann (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2022, 726 = FuR 2022, 268).

BGH, Beschluß vom 22. Juni 2022 - XII ZB 376/21 - LG Berlin [83 T 216/21]

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Betreuungsrecht; Kosten und Gebühren; keine Vergütung des Umgangspflegers; auf einer betreuungsgerichtlichen Umgangsregelung beruhende Tätigkeit.
BGB §§ 1632, 1908i; FamFG § 168

Ein Umgangsbegleiter kann in dem Vergütungsfestsetzungsverfahren auch dann nicht Vergütung und Aufwendungsersatz verlangen, wenn seine Tätigkeit auf einer betreuungsgerichtlichen Umgangsregelung beruht (Fortführung Senatsbeschluß FamRZ 2019, 199 = FuR 2019, 162).

BGH, Beschluß vom 22. Juni 2022 - XII ZB 442/20 - LG Landshut [64 T 2602/20]

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Betreuungsrecht; Erforderlichkeit einer Betreuung bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht; weitere Sachaufklärung des Gerichts bei Widersprüchen zwischen gerichtlichem und privatem Gutachten; Erforderlichkeit eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge.
BGB §§ 104, 1896, 1897, 1903; FamFG § 26

1. Zu der Erforderlichkeit einer Betreuung bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht.
2. Erhebt ein Verfahrensbeteiligter Einwendungen gegen das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen, dann hat der Tatrichter diese zu berücksichtigen. Wird in einem Betreuungsverfahren ein Privatgutachten vorgelegt, dann ist das Gericht verpflichtet, sich mit diesem zu befassen, und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich aus dem Privatgutachten ein Widerspruch zu dem Gerichtsgutachten ergeben kann; insbesondere hat er zu begründen, warum er einem von ihnen den Vorzug gibt (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2020, 1300).
3. Zu der Erforderlichkeit eines Einwilligungsvorbehalts in dem Bereich der Vermögenssorge.

BGH, Beschluß vom 22. Juni 2022 - XII ZB 544/21 - LG Hannover [4 T 55/21]

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Versorgungsausgleich; Beginn der Zahlungspflicht einer Hinterbliebenenversorgung.
VersAusglG §§ 25, 30

Bestimmungen in einer Versorgungsordnung, welche den Zugang zur Teilhabe an der Hinterbliebenenversorgung von der Vorlage einer rechtskräftigen familiengerichtlichen Entscheidung abhängig machen, und die Fälligkeit der Teilhabeansprüche auf den Ablauf des Monats herausschieben, der dem Monat folgt, in dem der Versorgungsträger von der Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung Kenntnis erlangt (Übergangszeit gemäß § 30 Abs. 2 VersAusglG), sind insoweit unwirksam, als sie dem ausgleichsberechtigten Ehegatten auch in solchen Fällen entgegengehalten werden sollen, in denen der verstorbene ausgleichspflichtige Ehegatte keine versorgungsberechtigte Witwe oder keinen versorgungsberechtigten Witwer hinterlassen hat, und der Versorgungsträger des Schutzes von § 30 VersAusglG nicht bedarf.

BGH, Beschluß vom 22. Juni 2022 - XII ZB 584/18 - OLG Frankfurt [3 UF 123/18 - juris]

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Erbrecht; Pflichtteilsanspruch; Anwendung deutschen Pflichteil-Erbrechts trotz Rechtswahl des englischen Rechts durch den britischen Erblasser; Verstoß gegen den deutschen ordre public bei Rechtswahl des englischen Erbrechts.
BGB § 2314; EUV 650/2012 Art. 22, Art. 35; AdG Art. 12 § 2; GG Art. 6, Art. 14

Die Anwendung des gemäß Art. 22 Abs. 1 EuErbVO gewählten englischen Erbrechts verstößt jedenfalls dann gegen den deutschen ordre public im Sinne von Art. 35 EuErbVO, wenn sie dazu führt, daß bei einem Sachverhalt mit hinreichend starkem Inlandsbezug kein bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch eines Kindes besteht.

BGH, Urteil vom 29. Juni 2022 - IV ZR 110/21 - OLG Köln [FamRZ 2021, 1492]

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Personenstandsrecht; Personenstandsverfahren; Eintragung des Vatersnamens nach russischem Recht; Erstreckung der Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB auf den Vatersnamen russischen Rechts.
EGBGB Art. 10

Zu der Erstreckung der Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB auf den Vatersnamen russischen Rechts (Fortführung Senatsbeschluß FamRZ 2022, 421).

BGH, Beschluß vom 29. Juni 2022 - XII ZB 153/21 - OLG Hamburg [FamRZ 2021, 1952]

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