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OLG Stuttgart, Urteil vom 05.02.2008 - 18 UF 225/07 - FD-Platzhalter-rund

OLG Stuttgart, Urteil vom 05.02.2008
18 UF 225/07



Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Erwerbsverpflichtung eines unterhaltsverpflichteten ALG II-Empfängers; Zurechnung fiktiven Einkommens.

BGB §§ 1582, 1601, 1609; SGB II § 11

1. Arbeitslosengeld II, das der Struktur nach Sozialhilfe für bedürftige, aber arbeitsfähige Personen ist, ist kein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen. Die Auffassung, Entgelte aus einer Nebentätigkeit neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II seien ohne Berücksichtigung der Selbstbehaltssätze an das unterhaltsberechtigte Kind auszuzahlen, findet im Gesetz keine Stütze.
2. Einem gegenüber minderjährigen Kindern Unterhaltsverpflichteten ohne Berufsausbildung ist im Rahmen der Leistungspflicht für Kindesunterhalt jede Art von Hilfstätigkeit zumutbar.
3. Zeigt die geringe Anzahl von Bewerbungen, daß sich ein erwerbsloser Unterhaltsschuldner nicht mit der erforderlichen Intensität um eine Arbeitsstelle bemüht hat, dann ist ihm fiktives Einkommen zuzurechnen.
4. Der Abzug der 5%-igen Erwerbsaufwandspauschale ist auch im Mangelfall zu berücksichtigen.
5. Der Nachrang der zweiten Ehefrau gilt nach altem Recht auch dann, wenn die Mutter der minderjährigen Unterhaltsberechtigten keinen nachehelichen Unterhalt geltend macht. (Red.)

OLG Stuttgart, Urteil vom 5. Februar 2008 - 18 UF 225/07

Tenor
1. Dem Beklagten wird hinsichtlich der versäumten Frist zur Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Balingen vom 14.09.2007 (5 F 126/07) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Balingen vom 14.09.2007 (5 F 126/07) zum Teil abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Balingen vom 18.07.2007 (5 F 126/07) wird insoweit aufrecht erhalten, als der Beklagte zur Zahlung von monatlichem Kindesunterhalt an die Kläger in folgender Höhe verurteilt worden ist: An die Klägerin zu 1) vom 01.06.2007 bis 30.06.2007 101 €, vom 01.07.2007 bis 31.10.2007 monatlich 97 €, und ab 01.11.2007 monatlich 85 €, sowie an den Kläger zu 2) vom 01.06.2007 bis 30.06.2007 101 €, vom 01.07.2007 bis 31.10.2007 monatlich 97 €, und ab 01.11.2007 monatlich 72 €. Die Unterhaltsbeträge sind jeweils fällig im voraus zum ersten eines jeden Monats und für den Zeitraum von Juni 2007 bis Februar 2008 im jeweiligen Monatsbetrag ab dem ersten des jeweiligen Monats mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Im übrigen wird das Versäumnisurteil vom 18.07.2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
3. Von den Gerichtskosten in beiden Instanzen tragen die Parteien jeweils 1/3. Der Beklagte trägt jeweils 1/3 der außergerichtlichen Kosten beider Kläger. Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten tragen die Kläger jeweils 1/3. Im übrigen trägt jede Partei ihre eigenen Kosten.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
Die Kläger machen Kindesunterhalt ab 1. Juni 2007 (Rechtshängigkeit der Klage) geltend. Die Kläger sind die minderjährigen Kinder des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe mit Frau A. Die Kläger werden von ihrer Mutter betreut und versorgt.

Der Beklagte ist erneut verheiratet und hat aus dieser Ehe das Kind D. (geboren im Jahre 2004), sowie das Kind J. (geboren im Jahre 2007). Der Beklagte wie auch seine Ehefrau sind nicht berufstätig; die Familie lebt von Arbeitslosengeld II. Zeitweise hatte der Beklagte eine Nebenbeschäftigung im Umfang eines 400 €-Jobs.

Durch das dem Beklagten am 1. Oktober 2007 zugestellte Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Balingen vom 14. September 2007, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, wurde der Beklagte unter teilweiser Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils des Amtsgerichts - Familiengericht - Balingen (5 F 126/07) vom 18. Juli 2007 (Verurteilung zu 100% des Regelbetrages) für Juni 2007 zu einem monatlichen Kindesunterhalt von jeweils 123 €, für die Monate Juli bis Oktober 2007 zu einem monatlichen Kindesunterhalt von jeweils 120 € und ab 1. November 2007 für die Klägerin zu 1) zu einem Kindesunterhalt von 132 € monatlich und für den Kläger zu 2) zu einem Kindesunterhalt von 113 € monatlich verurteilt. Im übrigen wurde das Versäumnisurteil vom 18. Juli 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Gegen die Verurteilung richtet sich die am 22. November 2007 nebst Antrag auf Wiedereinsetzung eingelegte Berufung mit Berufungsbegründung. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung war ein Prozeßkostenhilfeantrag vom 29. Oktober 2007 für die beabsichtigte Berufung, eingegangen am 31. Oktober 2007, vorausgegangen. Mit Beschluß vom 8. November 2007, zugestellt am 16. November 2007, wurde dem Beklagten antragsgemäß Prozeßkostenhilfe bewilligt.

Der Beklagte trägt vor, daß das Amtsgericht den Sachverhalt sowohl unter tatsächlichen wie auch rechtlichen Gesichtspunkten unzutreffend beurteilt habe. Eine Verletzung der Obliegenheit, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen, liege nicht vor; ferner sei das vom Erstgericht angenommene fiktive Einkommen mit einem Stundenlohn von brutto 9 € deutlich übersetzt. Als ungelernte Kraft mit mangelnden Deutsch-Kenntnissen könne er allenfalls einen Stundenlohn von 7 € erzielen. Des weiteren sei bei der fiktiven Einkommensberechnung die 5%-ige Erwerbspauschale nicht berücksichtigt worden. Auch habe das Erstgericht die Tatsache, daß der Beklagte erneut verheiratet ist, und seine Ehefrau wegen der Kinderbetreuung über kein eigenes Einkommen verfügt, vollkommen außer Betracht gelassen. Nicht berücksichtigt sei ferner, daß am 26. November 2007 ein weiteres Kind des Beklagten geboren wurde. Der Beklagte beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Balingen vom 14. September 2007 (5 F 126/07) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Sie sind der Ansicht, daß der Beklagte hinsichtlich der Bemühungen um einen Arbeitsplatz seiner Darlegungs- und Beweislast nicht genügt hat. Das vom Amtsgericht fiktiv zugrunde gelegte Einkommen von 9 € pro Stunde sei angemessen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Verhandlungsprotokoll vom 15. Januar 2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
Auf die nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässige Berufung hin ist das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage zum Teil als unbegründet abzuweisen.

Zu Recht hat das Amtsgericht festgestellt, daß den Klägern gegen den Beklagten ein Anspruch auf Kindesunterhalt gemäß § 1601 BGB zusteht. Ohne weitere Darlegung seitens der Kläger ist von einem Bedarf der Kinder noch der Einkommensgruppe I der Düsseldorfer Tabelle auszugehen (BGH FamRZ 2002, 536 = FuR 2002, 228 = EzFamR BGB § 1610 Nr. 34).

Vorliegend ist Leistungsfähigkeit zur Zahlung des Unterhalts aufgrund der tatsächlichen Einkommensverhältnisse des Beklagten nicht gegeben. Der 42-jährige Beklagte ist seit Februar 2004 arbeitslos. Er bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Ferner hatte er ab 1. August 2007 vorübergehend eine Nebenbeschäftigung, bei der er monatlich 400 € verdiente.

Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit kommt es auf die unterhaltsrechtlich relevanten Einkünfte an. Keine Einnahmen in diesem Sinne sind Sozialleistungen, die nicht Lohnersatzfunktion, sondern Unterhaltsersatzfunktion haben, wie die frühere Sozialhilfe. Arbeitslosengeld II ist die Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, wobei diese auf dem Leistungsniveau der früheren Sozialhilfe stattfindet (vgl. Münder, SGB II 2. Aufl. Einl. Rdn. 5). Der Struktur nach ist Arbeitslosengeld II Sozialhilfe für bedürftige aber arbeitsfähige Personen. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff SGB II sind daher kein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen (SüdL [Stand: 01.01.2008 Ziff. 2.2]). Das vom Beklagten bezogene Arbeitslosengeld II ist eine ausschließlich bedarfsabhängige Sozialleistung, die daher bei ihm keine Leistungsfähigkeit begründet.

Auch der mit Gesetz der Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) nachträglich eingefügte § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II führt zu keiner anderen Beurteilung. Aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II sowie aus den gesetzgeberischen Motiven wird deutlich, daß bei der Bewilligung des Arbeitslosengeldes II lediglich übergangsweise eine Unterhaltszahlung bei bestehendem Titel berücksichtigt werden soll. Die Auffassung, Entgelte aus Nebentätigkeit neben des Bezugs von Arbeitslosengeld II seien ohne Berücksichtigung der Selbstbehaltssätze der Unterhaltsleitlinien an das unterhaltsberechtigte Kind auszuzahlen, findet im Gesetz keine Stütze. Insbesondere ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien kein Hinweis darauf, daß die Einführung des § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II die Stellung der unterhaltsberechtigten Kinder in der Weise stärken sollte, daß sie auf Einkünfte des Unterhaltsschuldners auch Zugriff nehmen können, wenn dessen notwendiger Selbstbehalt nicht gewährleistet ist; vielmehr ist die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners stets zu beachten: Das Existenzminimum muß dem Unterhaltsschuldner stets verbleiben (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2007, 1905).

Somit ist lediglich das zeitweise erzielte Einkommen aus Nebenbeschäftigung in Höhe von 400 € unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen. Dieses liegt jedoch unter dem Selbstbehaltsatz der Düsseldorfer Tabelle und begründet damit keine Leistungsfähigkeit.

Zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, daß die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsschuldners nicht nur durch das tatsächlich vorhandene Einkommen bestimmt wird, sondern auch durch seine Arbeits- und Erwerbsfähigkeit. Der Unterhaltsverpflichtete muß seine Arbeitskraft entsprechend seiner Vorbildung, seinen Fähigkeiten und der Arbeitsmarktlage in zumutbarer Weise bestmöglich einsetzen. Vorliegend ist dem Beklagten, der keine Berufsausbildung hat, zur Zahlung des Kindesunterhalts jede Art von Hilfstätigkeit zumutbar.

Von den Klägern wird bestritten, daß sich der Beklagte hinreichend um eine Arbeitsstelle bemüht hat. Die vom Beklagten dargelegten Bemühungen um eine Arbeit sind nicht als ausreichend anzusehen. Von einem Arbeitssuchenden kann grundsätzlich verlangt werden, daß er den für eine vollschichtige Erwerbstätigkeit notwendigen Zeitaufwand auf seine Arbeitssuche verwendet. 20 bis 30 Bewerbungsschreiben pro Monat können im Einzelfall zumutbar sein (vgl. Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 8. Aufl. Rdn. 620). Die Darlegungs- und Beweislast für die erfolglose Arbeitssuche trifft den Unterhaltspflichtigen: Es muß substantiiert vorgetragen und gegebenenfalls bewiesen werden, welche konkreten Bemühungen entfaltet wurden, um Arbeit zu finden. Der Beklagte trägt lediglich unsubstantiiert vor, daß er »monatlich Bewerbungen schreibe«. Hierbei legt er drei Bewerbungen vom 23. September 2007, drei Bewerbungen vom 8. Oktober 2007 sowie vier Bewerbungen vom 6. Dezember 2007 vor. Die geringe Anzahl der Bewerbungen zeigt, daß der seit Februar 2004 erwerbslose Beklagte sich nicht mit der erforderlichen Intensität um eine Arbeitsstelle bemüht. Es ist ihm daher ein fiktives Einkommen anzurechnen.

Das Amtsgericht ist in seinem Urteil zutreffend von einem möglichen Stundenlohn von 9 € brutto ausgegangen. Diese Einschätzung erscheint insbesondere vor dem Hintergrund des erhaltenen Lohns für frühere Erwerbstätigkeiten des Beklagten als angemessen. Der Beklagte ging in der Vergangenheit folgenden Tätigkeiten nach: Von Februar 1984 bis zur Übersiedelung nach Deutschland im September 1993 arbeitete er als Taxi- und Lkw-Fahrer in Syrien. Von September 1996 bis Oktober 2002 arbeitete er als Hilfsarbeiter an einer Vorbrecheranlage in einem Schotterwerk zu einem Stundenlohn von brutto 19 DM; vom 24. März 2003 bis zum 31. August 2003 nahm er eine unbekannte Tätigkeit für eine Firma G. GmbH zu einem Stundenlohn von brutto 8 € wahr; von Oktober 2003 bis Februar 2004 arbeitete er als Aushilfe in unbekanntem Umfang für die Firma F. in Stockach und erzielte dort ein Nettoentgelt von 763,97 bis 823,97 €. Der Beklagte, der nur schlecht Deutsch spricht, ist 42 Jahre alt. Er hat einen Pkw-Führerschein. Er ist von kräftigem Körperwuchs; über gesundheitliche Beeinträchtigungen ist nichts bekannt. Es ist davon auszugehen, daß der Beklagte bei einer schwereren körperlichen Arbeit durchaus in der Lage wäre, als Hilfsarbeiter einen monatlichen Stundenlohn von 9 € zu erzielen.

Soweit der Beklagte einwendet, daß er aufgrund der vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit in Oberfranken allenfalls eine Beschäftigung bei einer Zeitarbeitsfirma finden könne, die lediglich Stundenlöhne zwischen 6,50 bis 7 € brutto zahle, kann er hiermit nicht gehört werden. Der Beklagte hat sich bisher nicht ausreichend um eine feste Anstellung bemüht. Allein aufgrund des allgemeinen Hinweises auf eine schlechte Arbeitsmarktlage kann nicht vom Fehlen jeglicher Beschäftigungschance in einer festen Anstellung ausgegangen werden; vielmehr ist davon auszugehen, daß der Beklagte bei Aufwendung der erforderlichen Bemühungen durchaus in der Lage wäre, eine feste Anstellung als Hilfsarbeiter zu erlangen. Für eine Tätigkeit als ungelernter Hilfsarbeiter kann auch in Oberfranken ein Stundenlohn von brutto 9 € erzielt werden (vgl. z.B. OLG Bamberg, Beschluß vom 12. Januar 2005 - 2 U 273/04 - n.v.). Es ist daher von einem fiktiven monatlichen Einkommen von brutto (173 € x 9 =) 1.557 € auszugehen. Das Amtsgericht hat das monatliche Nettoeinkommen nach Steuerklasse III zutreffend mit 1.237 € ermittelt.

Abweichend von dem erstinstanzlichen Urteil ist jedoch eine 5%-ige Erwerbspauschale in Abzug zu bringen; diese ist auch im Mangelfall zu berücksichtigen (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2007, 1738). Die 5%-ige Erwerbspauschale beträgt 61,85 €, so daß ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.175,15 € verbleibt.

Zur Ermittlung der geschuldeten Unterhaltsleistungen ist vorliegend eine Mangelfallberechnung durchzuführen.

Der Beklagte wendet ohne Erfolg ein, daß das Amtsgericht bei der Mangelfallberechnung zu Unrecht seine zweite Ehefrau nicht berücksichtigt habe. Sowohl nach dem früheren als auch nach dem jetzigen Recht ist die zweite Ehefrau in die Mangelfallberechnung nicht einzubeziehen.

Gemäß § 36 Nr. 7 EGZPO bleiben vor dem 1. Januar 2008 fällig gewordene Unterhaltsleistungen unberührt, d.h. daß sich die Unterhaltsansprüche bis zum 31. Dezember 2007 nach dem früheren Recht richten. Zwar bestimmt § 1609 Abs. 2 S. 1 BGB a.F., daß der Ehegatte, also sowohl der geschiedene als auch der neue Ehegatte, den minderjährigen Kindern im Rang gleichsteht. Andererseits sieht § 1582 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. vor, daß bei mehreren unterhaltsbedürftigen Ehegatten der geschiedene Ehegatte mit einem Unterhaltsanspruch wegen Kindesbetreuung nach § 1570 BGB dem neuen Ehegatten vorgeht.

Mit dieser Rechtsfolge wäre es nicht vereinbar, die Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder sowohl den Ansprüchen des geschiedenen Ehegatten als auch denen des neuen Ehegatten im Rang gleichzustellen. Wegen des Widerspruchs zwischen § 1582 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. einerseits und § 1609 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. andererseits bedarf es einer Auslegung über den Wortlaut der Regelungen hinaus. Diese muß sich von dem Ziel der Rangregelungen leiten lassen, daß in Mangelfällen in erster Linie der Unterhalt besonders schutzwürdig erkannter Angehöriger gesichert werden soll. Dem von § 1582 BGB a.F. als Nachwirkung der früheren Ehe beabsichtigten besonderen Schutz des geschiedenen Ehegatten kann nur dadurch Rechnung getragen werden, daß der Anwendungsbereich des § 1609 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. in Mangelfällen bei einer Kollision mit der Rangregelung des § 1582 Abs. 1 BGB a.F. im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend eingeschränkt wird, daß der in § 1609 Abs. 2 S. 1 BGB angeordnete Gleichrang mit dem Ehegatten nur für den nach § 1582 Abs. 1 BGB a.F. privilegierten geschiedenen und nicht auch für den neuen Ehegatten gilt (BGH FamRZ 1988, 705 = EzFamR BGB § 1609 Nr. 8 = BGHF 6, 187). Auch in den Fällen, in denen dem geschiedenen Ehegatten ein Unterhaltsanspruch an sich zustehen würde, und er diesen lediglich deshalb nicht geltend macht, um wenigstens den Regelbedarf der minderjährigen Kinder zu sichern, bleibt es beim Nachrang des neuen Ehegatten gemäß § 1582 Abs. 1 BGB a.F. mit der Folge, daß diesem die minderjährigen Kinder im Rang vorgehen (BGH NJW 2005, 2145 = FamRZ 2005, 1154 = FuR 2005, 364 = EzFamR BGB § 1578 Nr. 65).

Vorliegend ist davon auszugehen, daß die Mutter der Kläger im maßgeblichen Zeitraum bis zum 31. Dezember 2007 ebenfalls unterhaltsberechtigt war. Sie betreute die 9- bzw. 10- und 11- bzw. 12-jährigen Kläger; eine vollzeitige Erwerbstätigkeit war ihr daher nicht zumutbar. Sie bestritt ihren Lebensunterhalt durch Arbeitslosengeld II und Einkommen aus einem Nebenerwerb in Höhe von monatlich 296,10 €. Da § 1582 Abs. 1 BGB a.F. nicht darauf abstellt, ob der geschiedene Ehegatte seinen Unterhaltsanspruch tatsächlich geltend macht, und der geschiedene Ehegatte auch nicht gezwungen sein kann, seinen eigenen Unterhaltsanspruch nur deshalb geltend zu machen, um den Vorrang der Unterhaltsansprüche seiner minderjährigen Kinder zu sichern, gilt der Nachrang der zweiten Ehefrau auch vorliegend, wo die Mutter der Kläger keinen nachehelichen Ehegattenunterhalt geltend macht. Die fehlende Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs der geschiedenen Ehefrau ist nach der Zweckrichtung mit freiwilligen Leistungen Dritter vergleichbar, die nicht den Zweck haben, die neue Familie des Beklagten zu begünstigen (BGH NJW 2005, 2145 = FamRZ 2005, 1154 = FuR 2005, 364 = EzFamR BGB § 1578 Nr. 65). Die zweite Ehefrau des Beklagten ist daher bei der Mangelfallberechnung für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2007 nicht zu berücksichtigen.

Nach dem neuen Recht sind gemäß § 1609 Nr. 1 BGB n.F. minderjährige Kinder den Elternteilen vorrangig, so daß auch für die Zeit ab 1. Januar 2008 die zweite Ehefrau nicht zu berücksichtigen ist.

Die Mangelfallberechnung stellt sich vorliegend wie folgt dar:

Unterhalt im Juni 2007

Es steht ein Einkommen von 1.175,15 € abzüglich des Selbstbehalts von 890 € (Düsseldorfer Tabelle [Stand: 01.07.2005]), somit 285,15 €, für Unterhaltszwecke zur Verfügung. Gemäß der Düsseldorfer Tabelle [Stand: 01.07.2005] ist der Einsatzbetrag für den Kindesunterhalt der 6. Einkommensgruppe zu entnehmen. Es sind daher folgende Beträge zugrunde zu legen: Kläger zu 1) (2. Altersstufe) 334 €, Kläger zu 2) (2. Altersstufe) 334 € und D. (1. Altersstufe) 276 €. Der Gesamtbedarf der Kinder beträgt daher 944 €. Nachdem nur 285,15 € für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehen, erfolgt eine Reduzierung der Unterhaltsansprüche auf 30,21%, mithin für die beiden Kläger auf je 100,90 €, gerundet 101 €.

Unterhalt im Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Oktober 2007

Das verfügbare Einkommen beträgt 1.175,15 € abzüglich des Selbstbehalts von 900 € (Düsseldorfer Tabelle [Stand: 01.07.2007]), somit 275,15 €. Nach der Düsseldorfer Tabelle [Stand: 01.07.2007] ist der Einsatzbetrag für den Kindesunterhalt dem Tabellenbetrag der 6. Einkommensgruppe zu entnehmen. Es sind daher folgende Einsatzbeträge zugrunde zu legen: Kläger zu 1) (2. Altersstufe) 331 €, Kläger zu 2) (2. Altersstufe) 331 € und D. (1. Altersstufe) 273 €. Der Gesamtbedarf der Kinder beträgt daher 935 €. Da lediglich 275,15 € für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehen, werden die Unterhaltsansprüche auf 29,43% reduziert, somit für beide Kläger auf je 97,41 €, gerundet 97 €.

Unterhalt im Zeitraum vom 1. November 2007 bis zum 31. Dezember 2007

Das verfügbare Einkommen beträgt 1.175,15 € abzüglich des Selbstbehalts von 900 € (Düsseldorfer Tabelle [Stand: 01.07.2007]), somit 275,15 €. Nach der Düsseldorfer Tabelle [Stand: 01.07.2007] sind die Einsatzbeträge der 6. Einkommensgruppe zu entnehmen. Es ist von folgenden Beträgen auszugehen: Kläger zu 1) (3. Altersstufe) 389 €, Kläger zu 2) (2. Altersstufe) 331 €, D. (1. Altersstufe) 273 € und J. (1. Altersstufe) 273 €. Der Gesamtbedarf der vier Kinder beträgt 1.266 €. Da lediglich 275,15 € für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehen, sind die Unterhaltsansprüche auf 21,73% zu reduzieren, somit für den Kläger zu 1) auf 84,53 €, gerundet 85 €, und für den Kläger zu 2) auf 71,93 €, gerundet 72 €.

Unterhalt ab 1. Januar 2008

Das verfügbare Einkommen beträgt 1.175,15 € abzüglich des Selbstbehalts von 900 € (Düsseldorfer Tabelle [Stand: 01.01.2008], somit 275,15 €. Nach der Düsseldorfer Tabelle [Stand: 01.01.2008] und den Süddeutschen Leitlinien [Stand: 01.01.2008, Anh. Ziff. 2.2] entspricht der Einsatzbetrag dem Zahlbetrag, also der Einkommensgruppe 1 abzüglich hälftigem Kindergeld (§ 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F.). Es ist daher von folgenden Beträgen auszugehen: Kläger zu 1) (3. Altersstufe) 365 € ./. 77 € = 288 €, Kläger zu 2) (2. Altersstufe) 322 € ./. 77 € = 245 €, D. (1. Altersstufe) 279 € ./. 77 € = 202 € und J. (1. Altersstufe) 279 € ./. 77 € = 202 €. Der Gesamtbedarf der vier Kinder beträgt daher 937 €. Da lediglich 275,15 € für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehen, sind die Unterhaltsansprüche auf 29,36% zu kürzen, somit für den Kläger zu 1) auf 84,56 €, gerundet 85 €, und für den Kläger zu 2) auf 71,93 €, gerundet 72 €.

Hinsichtlich dieser Beträge war das erstinstanzliche Urteil aufrechtzuerhalten und die Berufung zurückzuweisen.

Der Zinsausspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 291 BGB. Für die Zukunft kann ein Zinsanspruch nicht zuerkannt werden, da es insoweit an der Fälligkeit der Forderungen fehlt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der vorliegende Fall hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern Rechtsfortbildung oder Rechtsvereinheitlichung eine Entscheidung des Revisionsgerichts; daher war die Revision nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Streitwert des Berufungsverfahrens: Klage der Klägerin zu 1) 1.527 €, und Klage des Klägers zu 2) 1.394 €, insgesamt somit 2.921 €.

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