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Entscheidungen OLG München (2021) - FD-Platzhalter-rund

Entscheidungen OLG München (2021)


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Adoptionsrecht; Volljährigenadoption; Voraussetzungen der Änderung des Vornamens.
BGB §§ 1757, 1767

1. § 1767 BGB verweist ohne Einschränkung auch auf die Bestimmung des § 1757 Abs. 3 BGB, so daß auch bei der Annahme eines Volljährigen der Vorname des Anzunehmenden geändert werden kann.
2. Wenn die Anzunehmende Nachstellungen seitens ihrer Familie, aber auch der Familie des von ihr geschiedenen Mannes zu befürchten hat, und die Zugehörigkeit zu der Herkunftsfamilie und die durch die Ehe begründeten Bindungen an die Familie des geschiedenen Ehemannes sich als Bedrohung und Belastung für die Anzunehmende darstellen, erscheint es sittlich gerechtfertigt, daß sie den hiermit verbundenen erheblichen Risiken zusätzlich durch eine Änderung ihres Vornamens vorbeugen möchte.

OLG München, Beschluß vom 20. Januar 2021 - 16 UF 1318/20
FamRZ 2022, 292 = NJW-RR 2021, 941 = NZFam 2021, 611 = StAZ 2022, 52 = DNotZ 2021, 776 = RNotZ 2021, 557 [Ls]

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Unterhaltsrecht; Kindergeld; gerichtliche Bestimmung der Bezugsberechtigung; Zuordnung nach dem Wohle des Kindes; Grundsatz der Kontinuität des Kindergeldbezuges; Sozialhilfebedürftigkeit eines Elternteils.
EStG §§ 62, 64; FamFG § 231

1. Haben die Eltern keine bindende Bestimmung zu dem Bezug des Kindergeldes getroffen, dann richtet sich dessen Zuordnung nach dem Wohle des Kindes.
2. Bieten bei gemeinsamer elterlicher Sorge und Betreuung beide Elternteile gleichermaßen die Gewähr, das Kindergeld zum Wohle des Kindes zu verwenden, dann verbleibt es zur Wahrung der Kontinuität des Kindergeldbezuges bei der bestehenden Bezugsberechtigung.
3. Unterschiedliche wirtschaftliche Erwerbsverhältnisse der Kindeseltern sind bei der Zuordnung des Kindergeldes nicht zu berücksichtigen; insbesondere existiert kein Grundsatz, daß der wirtschaftlich schwächere Elternteil das Kindergeld erhalten soll. Dies gilt auch in dem Falle der Sozialhilfebedürftigkeit eines Elternteils.

OLG München, Beschluß vom 26. Januar 2021 - 16 WF 1378/20
FamRZ 2021, 1200 = FuR 2022, 44

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Erbrecht; Grundstücksübertragung; Ansprüche aufgrund einer Schenkung mit Weitergabeverpflichtung; Auslegung formbedürftiger Rechtsgeschäfte; außerhalb des Erklärungsakts liegende Begleitumstände; »vom Erblasser herrührende Schuld« im Sinne des § 1967 Abs. 2 BGB; Verfügung über Vermögen im Ganzen.
BGB §§ 330, 525, 1364, 1365, 1967, 2302; ZPO §§ 292, 415

1. Eine Schenkung mit Weitergabeverpflichtung regelt das Bürgerliche Gesetzbuch nicht als eigenen Vertragstyp, sondern erwähnt lediglich in § 525 BGB die Schenkung unter Auflage, wobei Gegenstand einer Auflage auch eine lebzeitige Weitergabeverpflichtung schuldrechtlicher Art sein kann, mit der Abrede, daß der Erstbeschenkte den Schenkungsgegenstand spätestens bis zu seinem Tode an den Zweitbeschenkten weiterzugeben hat.
2. Auch formbedürftige Rechtsgeschäfte sind der Auslegung zugänglich.
3. Außerhalb des Erklärungsaktes liegende Begleitumstände, wie etwa die Entstehungsgeschichte oder Äußerungen der Parteien über den Inhalt des Rechtsgeschäfts, sind grundsätzlich in die Auslegung mit einzubeziehen.
4. Wäre eine Auflage zu Lebzeiten eines Erblassers zu erfüllen gewesen, liegt eine »vom Erblasser herrührende Schuld« im Sinne des § 1967 Abs. 2 BGB vor, deren Erfüllung die Begünstigten unmittelbar an sich von den (Mit-)Erben verlangen können.
5. Bei einer Verfügung über einen Einzelgegenstand ist eine Einschränkung des § 1365 BGB um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der positiven Kenntnis geboten, um den zu weit gezogenen Anwendungsbereich des § 1365 Abs. 1 BGB in Grenzen zu halten, und dem Grundsatz des § 1364 BGB Geltung zu verschaffen.

OLG München, Urteil vom 8. Februar 2021 - 33 U 4723/20
RNotZ 2021, 260 = BWNotZ 2021, 239 = MittBayNot 2021, 590 = ZEV 2021, 767

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Elterliche Sorge; Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung.
EGV 2201/2003 Art. 23a, Art. 23c, Art. 28, Art. 29, Art. 30, Art. 31; GG Art. 103

1. Eine ausländische Sorgerechtsentscheidung über die Anordnung der Herausgabe eines Kindes nach Art. 28 ff Brüssel IIa-VO wird gemäß Art. 31 Abs 2, Art. 23a und Art. 23c Brüssel IIa-VO nicht anerkannt, wenn dem Herausgabeverpflichteten das das Ursprungsverfahren einleitende Schriftstück nicht zugestellt worden ist, und er sich deshalb mangels Kenntnis von dem Verfahren nicht zur Sache einlassen konnte: Er ist hierdurch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
2. Die unterbliebene Zustellung ist der Säumnis im Sinne des Art. 23c Brüssel IIa-VO in entsprechender Anwendung gleichgestellt.

OLG München, Beschluß vom 16. Februar 2021 - 12 UF 225/20
FamRZ 2021, 875

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Erbrecht; Grundstücksvermächtnis; Verjährungsfrist für den Anspruch auf Übertragung des Eigentums an dem Grundstück.
BGB §§ 196, 2176; WEG §§ 1 ff

1. Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück (hier: Wohnungseigentum) verjähren innerhalb von zehn Jahren, auch wenn die Übertragung aufgrund eines Vermächtnisses erfolgen soll.
2. § 196 BGB gilt für alle Ansprüche, die unmittelbar auf die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück gerichtet sind, und für die dem Grundeigentum gleichgestellten Fälle, insbesondere das Wohnungseigentum (§§ 1 ff WEG).

OLG München, Beschluß vom 18. Februar 2021 - 33 W 92/21
FamRZ 2021, 1158 = NJW 2021, 2443 = MDR 2021, 757 = ErbR 2021, 440 = MittBayNot 2021, 374 = BWNotZ 2021, 138 = NZM 2021, 407 = NotBZ 2021, 396 = ZEV 2021, 753 = NJW-Spezial 2021, 199 = RNotZ 2021, 303 [Ls] = ZAP EN-Nr. 390/2021 [Ls]

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Elterliche Sorge; Anhörung eines Kindes trotz Corona-Pandemie; Verwertung heimlicher Videoaufnahmen von Kindesmißhandlungen.
BGB §§ 1666, 1671; FamFG §§ 29, 30, 159

1. Wenn und soweit räumliche Möglichkeiten bestehen, ein Kind in größeren Räumen, notfalls in einem Sitzungssaal, anzuhören, und dadurch das Infektionsrisiko auf ein Minimum verringert wird, bietet die Corona-Pandemie keinen Anlaß, in einer Kindschaftssache (hier: Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge) auf eine Anhörung des Kindes zu verzichten.
2. Ohne Einwilligung des Betroffenen gefertigte Videoaufnahmen dürfen im Einzelfall verwertet werden, wenn unter den besonderen Umständen des konkreten Falles bei Abwägung der widerstreitenden Interessen dem Recht des Kindes auf körperliche und seelische Unversehrtheit Vorrang einzuräumen ist (hier: heimliche Videoaufnahmen von wiederholten Mißhandlungen eines Kindes).

OLG München, Beschluß vom 31. März 2021 - 26 UF 82/21
FamRZ 2021, 1716 = NZFam 2021, 1100 = FF 2021, 511 [Ls]

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Erbrecht; Gesamtrechtsnachfolge; Verpflichtung von Erben des Erben des Verursachers als Handlungsverantwortliche zur Beseitigung einer schädlichen Bodenverunreinigung.
BGB §§ 426, 1922, 1931, 1942, 1952, 2058; BBodSchG §§ 4, 24

Die Erben des Erben des Verursachers sind nicht als Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG als Handlungsverantwortliche zu der Beseitigung einer schädlichen Bodenverunreinigung verpflichtet.

OLG München, Urteil vom 1. April 2021 - 24 U 7001/19
MDR 2021, 1202 = ErbR 2021, 983 = ZEV 2021, 650 = RNotZ 2021, 618 [Ls]

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Erbrecht; Klage auf Feststellung einer Alleinerbschaft bei Geltendmachung der Unwirksamkeit einer testamentarischen Erbeinsetzung.
BGB §§ 2085, 2195; ZPO § 256; HeimG § 14

1. Das Erbrecht nach einer verstorbenen Person stellt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar. Der Zulässigkeit einer Feststellungsklage steht nicht entgegen, daß ein Urteil nur zwischen den Parteien wirkt, und keine Bindungswirkung für das Erbscheinsverfahren mit seinen weiteren Beteiligten hat.
2. § 2085 BGB wird auch auf einzelne Verfügungen angewandt, die von dem Gegenstand her (quantitativ) teilbar sind. Die Vorschrift kann zum Beispiel dann zum Tragen kommen, wenn die Einsetzung des Heimträgers gegen § 14 HeimG verstößt, aber zugleich ein Ersatzerbe bestimmt ist, der zum Zuge kommt, weil die Verfügung nur insoweit nichtig ist, als sie gegen das gesetzliche Verbot verstößt.
3. Der allgemeine Grundsatz der rechtlichen Unabhängigkeit mehrerer in einem Testament oder Erbvertrag enthaltener Verfügungen gilt auch für eine Auflage, denn die Unwirksamkeit einer Auflage hat grundsätzlich nicht die Unwirksamkeit der beschwerten Zuwendung (Erbeinsetzung oder Vermächtnis) zur Folge, sofern sich nicht ausnahmsweise aus dem Willen des Erblassers anderes ergibt (§ 2195 BGB).
4. Soll sich die behauptete Erbenstellung aus der Unwirksamkeit einer testamentarischen Erbeinsetzung ergeben, dann geht der gesetzlichen Erbfolge jede wirksame Erbeinsetzung in dem Testament vor, und muß auch dann zu der Klageabweisung führen, wenn sie nicht das konkrete Prozeßrechtsverhältnis betrifft.

OLG München, Beschluß vom 6. April 2021 - 33 U 7071/20

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Erbrecht; Eröffnung eines gemeinschaftlichen Testamentes.
FamFG §§ 348, 349

1. Grundsätzlich ist nur das Original (die Urschrift) einer letztwilligen Verfügung, nicht aber eine einfache Kopie hiervon zu eröffnen. Aus dem Grundsatz, daß die Erbfolge aber auch aus einer nur noch in Kopie vorhandenen letztwilligen Verfügung festgestellt werden kann, folgt jedoch, daß in einem solchen Fall ausnahmsweise die Kopie zu eröffnen ist.
2. Zu eröffnen ist grundsätzlich das gesamte Schriftstück; eine Ausnahme gilt lediglich bei trennbaren Verfügungen des überlebenden Ehepartners in gemeinschaftlichen Testamenten, da nur die Verfügungen des verstorbenen Ehepartners zu eröffnen sind (§ 349 Abs. 1 FamFG). Dabei kommt es für die Frage der Trennbarkeit nicht auf die Wünsche und Geheimhaltungsinteressen der Eheleute, sondern allein auf die konkrete Ausgestaltung und sprachliche Fassung des gemeinschaftlichen Testamentes an.
3. Liegt nur eine von einem Ehepartner handschriftlich niedergelegte und sodann von beiden Ehepartnern unterschriebene gemeinsame letztwillige Verfügung vor, in der Formulierungen wie »wir« und »unser« gewählt wurden, dann ist eine derartige Trennung und damit eine nur teilweise Eröffnung nicht möglich.

OLG München, Beschluß vom 7. April 2021 - 31 Wx 108/21
FamRZ 2021, 1767 = FuR 2021, 507 = NJW-RR 2021, 586 = ErbR 2021, 599 = ZErb 2021, 285 = ZEV 2021, 575 = FGPrax 2021, 185 = Rpfleger 2021, 583 = MittBayNot 2022, 157

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Vormundschaft und Pflegschaft; Vormundschaft für unbegleitete ausländische Minderjährige; Bestellung eines örtlich unzuständigen Jugendamtes als Amtsvormund; Bindung des Familiengerichts an die behördliche Zuständigkeitsregel des § 88a Abs. 4 SGB VIII bei der Auswahl eines Amtsvormundes.
BGB §§ 1779, 1791b, 1887, 1889; SGB VIII § 88a

1. Jedenfalls bei einer Neuentscheidung über die Vormundschaft nach einem Aufenthaltswechsel des Kindes ist das Familiengericht nicht an die örtlichen Zuständigkeitsregeln des Achten Buches Sozialgesetzbuch gebunden; es hat vielmehr ein Auswahlermessen, und ist bei dessen Ausübung dem Kindeswohle verpflichtet.
2. Eine zwingende Bindung an die Vorschrift des § 88a SGB VIII über die örtliche Zuständigkeit der Jugendämter besteht nicht; diese Bestimmung ist allerdings im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Somit kann ein anderes Jugendamt als das nach den Regeln des Achten Buches Sozialgesetzbuch zuständige zum Vormund bestimmt werden, wenn sachliche Gründe dies gebieten.

OLG München, Beschluß vom 9. April 2021 - 16 WF 15/21

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Erbrecht; eigenhändiges Testament; Beweislast hinsichtlich der Leseunfähigkeit eines Erblassers bei Testamentserrichtung.
BGB §§ 2174, 2247

1. Für die Leseunfähigkeit eines Erblassers trägt die Beweislast derjenige, der sich darauf beruft.
2. Hat ein Erblasser ein eigenhändiges Testament geschrieben, und steht nicht fest, ob er Geschriebenes noch zu lesen vermochte, ist von dem Regelfall auszugehen, daß der Erblasser lesen konnte.

OLG München, Urteil vom 19. April 2021 - 33 U 6447/20

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Erbrecht; Heilung der Entscheidung eines funktionell unzuständigen Rechtspflegers über einen Erbscheinsantrag durch die Entscheidung des Nachlaßrichters im Abhilfeverfahren.
BGB § 2353; FamFG §§ 69, 352e; RPflG §§ 8, 16

1. Zu der Frage der Heilung einer Entscheidung eines funktionell unzuständigen Rechtspflegers über einen Erbscheinsantrag, dem unterschiedliche Rechtspositionen betreffend letztwillige Verfügungen als Berufungsgrund zugrunde liegen.
2. Für eine Heilung des funktionellen Zuständigkeitsverstoßes mittels nachfolgender Entscheidung des Nachlaßrichters im Rahmen eines Abhilfeverfahrens ist bereits dann kein Raum, wenn die Abhilfeentscheidung nicht die für das Abhilfeverfahren gebotene Begründungsintensivität aufweist.

OLG München, Beschluß vom 28. April 2021 - 31 Wx 154/21
ErbR 2021, 684 = ZEV 2021, 542 [Ls]

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Personenstandssache; rechtliche Vaterschaft bezüglich einer Person mit Varianten der Geschlechtsentwicklung; Mit-Mutterschaft von Personen ohne Geschlechtseintrag; keine Eintragung des Ehepartners diversen Geschlechts als Elternteil des von seiner Ehefrau geborenen Kindes.
BGB § 1592; GG Art. 6; FamFG § 21; PStG §§ 22, 45b

1. Das vorliegende Verfahren, in dem es zu klären gilt, ob eine Person, deren Geschlechtsangabe nach § 45b in Verbindung mit § 22 Abs. 3 PStG offen gelassen wurde, aufgrund des § 1592 Nr. 1 oder 2 BGB als Vater eines Kindes in das Geburtenregister eingetragen werden kann, wird bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Richtervorlage des Oberlandesgerichts Celle, welches § 1592 BGB für verfassungswidrig hält, wegen Vorgreiflichkeit ausgesetzt.
2. Der Senat stimmt mit der Auffassung des Bundesgerichtshofes überein, daß die Ehefrau der Mutter nicht mit der Geburt des Kindes dessen Mit-Elternteil wird.
3. Der Senat folgt der Auffassung des Oberlandesgerichts Celle, daß eine verfassungsrechtliche Handlungspflicht des Gesetzgebers besteht, die Elternstellung für solche Mit-Eltern gesetzlich zu begründen und näher auszugestalten. Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Beurteilung sah sich das Oberlandesgericht Celle nach Art. 100 Abs. 1 GG verpflichtet, das Verfahren auszusetzen, und dem Bundesverfassungsgericht zu der Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit vorzulegen.
4. Sollte die Vorschrift des § 1592 BGB tatsächlich verfassungswidrig sein, müßten nicht nur gleichgeschlechtliche Partner einer Mutter bzw. eines Vaters die Rechte und Pflichten des zweiten Elternteils mit der Geburt des Kindes von Gesetzes wegen erlangen; auch Personen ohne Geschlecht müßten eine solche Stellung des Elternteils mit der Geburt des Kindes erlangen können.

OLG München, Beschluß vom 29. April 2021 - 31 Wx 122/21
FamRZ 2022, 200 = StAZ 2021, 213

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Versicherungsrecht; Betriebsschließungsversicherung; Leistungsausschluß bei corona-bedingt angeordneter Schließung des Regelbetriebes einer Kindertagesstätte mit Notbetreuung.
BGB § 307; IfSG §§ 6, 7

1. Die Formulierung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung »Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, in dem Infektionsschutzgesetz in § 6 und § 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger« mit einer anschließenden listenförmigen Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern stellt eine abschließende Regelung dar, die Versicherungsschutz ausschließlich bei Vorliegen der genannten Krankheiten und Krankheitserregern gewährleistet.
2. Diese Regelung ist im Hinblick auf § 307 Abs. 1 S. 2 BGB wirksam, und nicht intransparent.
3. Ist eine Kindertagesstätte aufgrund einer Allgemeinverfügung der Landesregierung zu einer coronabedingten Einstellung des Regelbetriebes verpflichtet, und ist in diesem Zeitraum lediglich eine Notbetreuung zulässig, dann liegt keine vollständige Betriebsschließung im Sinne der Versicherungsbedingungen vor.
4. Bloße Beschränkungen stehen einer Schließung auch dann nicht gleich, wenn sie gewichtig sind.

OLG München, Beschluß vom 12. Mai 2021 - 25 U 5794/20
VersR 2021, 1174

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Elterliche Sorge; Anregung zur Einleitung eines Kinderschutzverfahrens; gerichtliche Zuständigkeit und Kostentragung für Kindesschutzanträge wegen Maskenpflicht an Schulen.
BGB §§ 1666, 1666a; FamFG §§ 24, 81; FamGKG § 20

1. War das Schreiben des Vaters eines betroffenen Kindes an das Amtsgericht als Anregung zu der Einleitung eines Kinderschutzverfahrens formuliert, dann entscheidet das Gericht selbst, ob es ein Verfahren einleitet oder dies unterläßt.
2. Formuliert die Anregung das Rechtsschutzziel dahingehend, daß die Maßnahmen des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes etc. durch das Familiengericht beendet werden, und die Rechtmäßigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften der Verordnung des Landes Bayern überprüft werden sollen, dann ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.
3. Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, sind nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG nicht zu erheben.

OLG München, Beschluß vom 1. Juni 2021 - 2 WF 528/21
FamRZ 2021, 1384 = NZFam 2021, 646 = MDR 2021, 967 = AGS 2021, 324

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Erbrecht; Feststellung einer fehlenden Testierfähigkeit aufgrund einer paranoiden Schizophrenie durch eine Diagnose post mortem.
BGB §§ 1924, 1930, 2229

1. Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer infolge einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen, und nach dieser Einsicht zu handeln.
2. Die Diagnosestellung einer chronischen paranoiden Schizophrenie setzt regelmäßig eine ärztliche Exploration zu Lebzeiten voraus, weil nur durch psychiatrische Exploration zu klären ist, ob wahnhafte Gewißheit oder die Fähigkeit zur Relativierung besteht.
3. Eine Diagnosestellung ist ausnahmsweise auch post mortem möglich, wenn ein ungewöhnlich reichhaltiges, authentisches Material für die Begutachtung zur Verfügung steht, das über das üblicherweise zur Verfügung stehende Material im Falle einer lebzeitigen Exploration (bei der im Übrigen ihrerseits mit mangelnder Kooperation oder bewußter Verstellung des Patienten gerechnet werden muß) hinausgeht.

OLG München, Urteil vom 9. Juni 2021 - 7 U 4638/15
ErbR 2021, 870 = ZAP EN-Nr. 452/2021 = ZEV 2021, 790 [Ls]

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Elterliche Sorge; Anregung zur Einleitung eines Kinderschutzverfahrens; gerichtliche Zuständigkeit für Überprüfung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen.
BGB §§ 1666, 1666a; FamFG §§ 24, 81

1. Gemäß § 24 Abs. 1 FamFG entscheidet das Gericht selbst, ob es auf eine Anregung hin ein Verfahren einleitet, oder dies unterläßt. Eine Pflicht zu der Einleitung eines Verfahrens folgt nicht aus der Anregung, sondern alleine aus sachlichem Recht.
2. Für das mit einer Anregung formulierte Rechtsschutzziel, daß für ein Kind die Maßnahmen des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes etc. durch das Familiengericht beendet werden, und die Rechtmäßigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften der Verordnung des Landes Bayern überprüft werden, ist der Rechtsweg zu den Familiengerichten nicht eröffnet.
3. In der Regel werden in Kinderschutzverfahren den Eltern keine Kosten auferlegt.
4. Einem Dritten (hier: Großvater) können Verfahrenskosten nicht nach § 81 Abs. 4 FamFG auferlegt werden, wenn dessen Anregung für das Familiengericht keinen Anlaß bot, ein Verfahren zu dem Schutze des Kindes von Amts wegen einzuleiten, und ihn daher kein grobes Verschulden an der Verfahrenseinleitung trifft.

OLG München, Beschluß vom 21. Juni 2021 - 2 WF 618/21
FamRZ 2021, 1538 = NJW 2021, 2811

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Erbrecht; Vergütung des Testamentsvollstreckers.
BGB § 2221

1. Soll sich die Vergütung des Testamentsvollstreckers nach der »rheinischen Tabelle« richten, dann ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Testamentsauslegung zu klären, ob der Erblasser damit die (ursprüngliche) rheinische Tabelle für das Notariat in Rheinpreußen aus dem Jahre 1925, oder die sogenannte »Neue Rheinische Tabelle« gemeint hat.
2. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere Andeutungen in dem Testament wie »neu«, »fortentwickelt«, oder auch nur solche in versteckter Form, richtet sich die Testamentsvollstreckervergütung in diesen Fällen nach der rheinischen Tabelle für das Notariat Rheinpreußen aus dem Jahre 1925.

OLG München, Beschluß vom 21. Juni 2021 - 33 U 1651/21
Rpfleger 2022, 139 = ErbR 2022, 266 = FamRZ 2022, 565 [Ls]

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Verfahrensrecht; Zuständigkeit der Gerichte; internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte; Aufwendungsersatzanspruch eines Vorsorgebevollmächtigten gegen einen in Spanien lebenden Vollmachtgeber; Verlust der Prozeßfähigkeit einer anwaltlich vertretenen Partei.
BGB §§ 7, 269, 270; ZPO §§ 23, 53, 86, 241, 246, 538 ; EUV 1215/2012 Art. 4, Art. 5, Art 7, Art. 62; EGV 593/2008 Art. 4; EGV 44/2001 Art. 7

1. Zu der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Geltendmachung von Aufwendungsersatzansprüchen des vorsorgebevollmächtigten Sohnes gegen seine prozeßunfähige, in Spanien lebende Mutter.
2. Verliert eine anwaltlich vertretene Partei während eines laufenden Prozesses ihre Prozeßfähigkeit, dann tritt keine Unterbrechung kraft Gesetzes gemäß § 241 Abs. 1 ZPO ein; auch dann kann das Gericht in der Sache entscheiden.
3. Die Frage des Wohnsitzes des allgemeinen Gerichtsstands nach Art. 4 Brüssel Ia-VO bestimmt sich für das angerufene deutsche Gericht nach deutschem Recht; danach können auch mehrere Wohnsitze bestehen (§ 7 Abs. 2 BGB).
4. Eine unentgeltliche Tätigkeit auf der Grundlage einer Vorsorgevollmacht fällt unter Art. 7 Nr. 1a der Brüssel Ia-VO. Macht ein Vorsorgebevollmächtigter gegen den Vollmachtgeber, der sich in Spanien aufhält, einen Anspruch auf Erstattung von Auslagen geltend, so ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nur dann gegeben, wenn der Vollmachtgeber einen Wohnsitz (auch) in Deutschland hat.

OLG München, Urteil vom 23. Juni 2021 - 20 U 6587/20
FamRZ 2022, 40 = ZEV 2022, 232 = FF 2022, 43 [Ls]

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Erbrecht; Klage auf Feststellung des Erbrechts; Umfang der Prüfungsbefugnis des Gerichts bei Nichteinbeziehung aller Erbprätendenten in den Rechtsstreit; Feststellungsinteresse für negative Feststellungsklage neben positiver Feststellungsklage; Voraussetzungen des Verstoßes gegen das HeimG bei einer Ersatzerbeneinsetzung.
BGB §§ 139, 2085; HeimG § 14; ZPO § 256

1. Die Relativität von Prozeßrechtsverhältnissen beschränkt bei Klagen, die auf Feststellung des Erbrechts gerichtet sind, nicht den Prüfungsumfang des Gerichts hinsichtlich der Auslegung von Verfügungen von Todes wegen. Verfügungen des Erblassers dürfen auch dann der Entscheidung zugrunde gelegt werden, wenn sie das konkrete Prozeßrechtsverhältnis nur mittelbar betreffen.
2. Eine auf Feststellung des Erbrechts gerichtete Feststellungsklage bleibt daher auch dann erfolglos, wenn ein Dritter, der nicht an dem Rechtsstreit beteiligt ist, zweifelsfrei Erbe geworden ist.
3. Wird über die positive Feststellung der eigenen Erbenstellung hinaus die Feststellung beantragt, die beklagte Partei sei nicht Erbe geworden, besteht für eine solche Klage kein Feststellungsinteresse.
4. Geht es um die Frage, ob eine Ersatzerbeneinsetzung gegen § 14 HeimG verstößt, setzt ein Verstoß voraus, daß zwischen dem Testierenden und dem Ersatzerben Einvernehmen im Hinblick auf die Zuwendung vorliegt.

OLG München, Beschluß vom 5. Juli 2021 - 33 U 7071/20
FamRZ 2021, 1841 = NJW-RR 2021, 1306 = ErbR 2021, 961 = Rpfleger 2021, 717 = ZEV 2022, 42 = MittBayNot 2022, 256

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Verfahrensrecht; Festsetzung des Verfahrenswertes; Scheidungsverbundverfahren; steckengebliebener Stufenantrag im Zugewinnausgleichsverfahren.
FamGKG §§ 38, 43; GKG § 40

1. Der Verfahrenswert eines Stufenantrages (hier: auf Zugewinnausgleich) richtet sich auch dann nach dem Wert der Leistungsstufe, wenn keine Bezifferung des Zahlungsanspruchs erfolgt.
2. Maßgeblich ist die aufgrund des Antrages zu schätzende realistische Erwartung des Antragstellers hinsichtlich des Zahlungsanspruchs bei Beginn der Instanz; unerheblich ist, ob die Bezifferung wegen außergerichtlicher Streitbeilegung unterblieben, oder aus anderen Gründen eine Erledigung oder Rücknahme erfolgt ist.

OLG München, Beschluß vom 9. Juli 2021 - 2 WF 689/21
NZFam 2021, 795 = NJW-Spezial 2021, 507

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Berufungsverfahren; Verlängerung der Stellungnahmefrist.
ZPO §§ 224, 522

Eine Verlängerung der Stellungnahmefrist kommt nur bei Glaubhaftmachung triftiger Gründe in Betracht; eine nur formelhaft angeführte Arbeitsüberlastung rechtfertigt eine Fristverlängerung nicht.

OLG München, Beschluß vom 26. Juli 2021 - 33 U 1651/21

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Erbrecht; Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten; Erfüllungswirkung eines mit falschem oder unklarem Stichtag erstellten Nachlaßverzeichnisses; Umfang bewilligter Prozeßkostenhilfe für eine Stufenklage; keine Beschränkung der Bewilligung auf die Auskunftsstufe; Begrenzung der Bewilligung auf den sich aus der Auskunftsstufe ergebenden Zahlungsanspruch.
BGB § 2314; ZPO §§ 114, 254

1. Einem Nachlaßverzeichnis, das auf den falschen oder unklaren Stichtag erstellt ist, kommt grundsätzlich keine Erfüllungswirkung zu; der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten besteht in diesen Fällen fort.
2. Wird der bedürftigen Partei Prozeßkostenhilfe für die Stufenklage gewährt, dann umfaßt die Bewilligung sogleich alle Stufen: Eine Beschränkung der Bewilligung auf die Auskunftsstufe würde der bedürftigen Partei den Zugang zu der Stufenklage verwehren.
3. Die Bewilligung ist der Höhe nach jedoch begrenzt auf den sich aus der Auskunftsstufe ergebenden Zahlungsanspruch.

OLG München, Beschluß vom 27. Juli 2021 - 33 W 861/21
FamRZ 2022, 658 = Rpfleger 2022, 213 = ErbR 2022, 254 = ZEV 2022, 117 [Ls] = DNotZ 2022, 123 [Ls]

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Ehescheidung; Anerkennung einer Privatscheidung durch Verstoßung der Ehefrau nach ägyptischem Recht; keine Geltung der Beschwerdefristen für einen entgegen § 7 Abs. 2 FamFG nicht hinzugezogenen Beteiligten.
EGBGB Art. 6, Art. 17; FamFG §§ 7, 59, 63, 107

1. Die Anerkennung einer Privatscheidung durch Verstoßung der Ehefrau nach ägyptischem Recht verstößt gegen den ordre public gemäß Art. 6 EGBGB, wenn nicht die Voraussetzungen für eine Scheidung nach deutschem Recht vorlagen, oder die Ehefrau mit der Verstoßung einverstanden war.
2. Die Beschwerdefristen des § 63 Abs. 1 und 3 S. 2 FamFG gelten nicht für einen im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG Betroffenen, der in dem ersten Rechtszug entgegen § 7 Abs. 2 FamFG nicht als Beteiligter hinzugezogen worden, und dem der dort ergangene Beschluß nicht bekanntgegeben worden ist.

OLG München, Beschluß vom 28. Juli 2021 - 34 Wx 47/21
FamRZ 2022, 127 = NZFam 2021, 932 = MDR 2021, 1469 = FGPrax 2021, 268

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Personenstandsrecht; Eigenberichtigung einer Beurkundung mit einschränkendem Zusatz durch das Standesamt.
PStG §§ 47, 48; PStV § 35

1. Gemäß § 48 Abs. 1 PStG ist die Berichtigung einer Beurkundung mit einschränkendem Zusatz dem Gericht vorbehalten, wenn im Hinblick auf die unsichere Urkundenlage in dem Heimatstaat (hier: Uganda) eine umfassende Prüfung der Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Urkunden erforderlich ist.
2. Eine Eigenberichtigungsbefugnis des Standesbeamten nach § 47 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 oder 2 PStG kommt nur dann in Betracht, wenn der richtige und vollständige Sachverhalt ohne weitere Ermittlungen allein aus den Personenstandsurkunden bzw. Paßunterlagen festgestellt werden kann.

OLG München, Beschluß vom 29. Juli 2021 - 31 Wx 229/18
StAZ 2021, 342

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Unerlaubte Handlungen; Schadenersatz aufgrund eines Verkehrsunfalles; Anspruch der Erben eines Getöteten auf Ersatz der Kosten einer Nachlaßpflegschaft; Anspruch eines erst nach dem Tode des Vaters geborenen Kindes auf Hinterbliebenengeld.
BGB §§ 1, 844, 845, 2039; GG Art. 1; VVG § 115; PflVG§ 1; StVG §§ 7, 10

1. Im Deliktsrecht steht ein Schadenersatzanspruch grundsätzlich nur der unmittelbar geschädigten Person zu; für einen Anspruch von Erben auf Ersatz von durch den Erbfall angefallenen Kosten wie Kosten des Erbscheinverfahrens oder einer Nachlaßpflegschaft fehlt es an einer Anspruchsgrundlage.
2. Einem Kind, das sowohl zu der Zeit des schädigenden Ereignisses als auch bei dem Schadeneintritt noch nicht geboren war, steht kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB zu.
3. Zu der Begründung eines persönlichen Näheverhältnisses zu dem Vater - im Sinne einer gelebten sozialen Beziehung - reicht die allmähliche Entwicklung der Sinnesorgane eines Embryos im Mutterleib vor der Geburt nicht aus.
4. § 844 Abs. 2 S. 2 BGB stellt eine nicht analogiefähige Sondervorschrift dar.

OLG München, Urteil vom 5. August 2021 - 24 U 5354/20
FamRZ 2021, 1839 = VersR 2022, 56 = NJW-Spezial 2021, 586 = RuS 2021, 598 = ErbR 2021, 981 = ZErb 2021, 433 = ZEV 2021, 627 [652] = MedR 2022, 130 = DAR 2021, 631 [Ls]

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Erbrecht; Erstellung und Vorlage eines Nachlaßverzeichnisses; ausgleichspflichtige pflichtteilsrelevante Schenkungen; Anwesenheitsrecht gemäß § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB; Anspruch eines Pflichtteilsberechtigten auf Festsetzung eines Zwangsgeldes aufgrund einer unvollständigen Auskunft.
BGB § 2314; ZPO § 888

1. Soweit das Gesetz einem Gläubiger gemäß § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB ein Anwesenheitsrecht zubilligt, setzt dessen Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung voraus, daß es Gegenstand der Verurteilung zur Auskunft ist.
2. Besteht die Möglichkeit, daß ein Erblasser die ihm aus der Veräußerung einer Immobilie zufließenden Beträge mit Hilfe eines Oder-Kontos dem Auskunftsverpflichteten zuwenden wollte, könnte es sich insoweit um ausgleichspflichtige, pflichtteilsrelevante Schenkungen handeln.
3. Die Erfüllung auf Erstellung und Vorlage eines Nachlaßverzeichnisses setzt insoweit voraus, daß in diesem dargestellt wird, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange der Auskunftsverpflichtete Leistungen aus dem Oder-Konto, auf das er Zugriff hatte, erhalten hat.

OLG München, Beschluß vom 9. August 2021 - 33 W 775/21
FamRZ 2021, 1925 = ZEV 2021, 580 [2022, 16] = ErbR 2021, 959

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Erbrecht; Pflichtteilsrecht; Auskunftsanspruch zu Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen; Anspruch auf Vorlage von Belegen; Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes bei einem Belegvorlageanspruch.
BGB §§ 260, 2314; ZPO § 511

1. Der Pflichtteilsberechtigte hat im Rahmen des Auskunftsanspruchs zu Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen grundsätzlich keinen Anspruch auf Vorlage von Belegen.
2. Wird der Beklagte nicht nur zu einer Auskunfterteilung, sondern auch zu einer Belegvorlage verurteilt, kommt es für die Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes auch auf diejenigen Kosten an, die mit der Beschaffung der Belege (hier: unter anderem Bankunterlagen für die letzten zehn Jahre vor dem Erbfall) verbunden sind.

OLG München, Urteil vom 23. August 2021 – 33 U 325/21
FamRZ 2022, 71 = FuR 2021, 687 = NJW-RR 2021, 1376 = FamRB 2022, 31 = MDR 2021, 1539 = NJW-Spezial 2021, 616 = ErbR 2021, 1076 = ZErb 2021, 437 = ZEV 2022, 31 = RNotZ 2021, 618 [Ls]

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Elterliche Sorge; gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern; Übertragung der Entscheidungsbefugnis zur Durchführung einer Corona-Impfung; Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung.
BGB §§ 1628, 1697a

1. Die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich einer Impfung ist regelmäßig demjenigen Elternteil zu übertragen, der eine Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO befürwortet.
2. Es liegt allein in der Verantwortung des Arztes, der letztlich die (Zweit-)Impfung durchführt, die konkreten Impfrisiken in Anbetracht der Behinderungen eines Kindes zu berücksichtigen, und dementsprechend die Impfung durchzuführen oder nicht.

OLG München, Beschluß vom 8. September 2021 - 26 UF 928/21

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Betreuungsrecht; betreuungsgerichtlichen Genehmigungsverfahren; Pflichten des Verfahrenspflegers; inhaltliche Überprüfung des Vorgangs; Durchführung eigener Ermittlungen.
FamFG § 276; GNotKG § 21

1. In einem betreuungsgerichtlichen Genehmigungsverfahren ist der Verfahrenspfleger gehalten, sich eine eigene Überzeugung davon zu verschaffen, daß der Vorgang, dessentwegen er bestellt wurde, in dem objektiven Interesse des Betroffenen liegt. Das setzt regelmäßig eine inhaltliche Überprüfung dieses Vorgangs voraus.
2. Zu diesem Zwecke kann auch die Durchführung eigener Ermittlungen erforderlich sein.

OLG München, Beschluß vom 27. September 2021 - 34 Wx 252/21
FamRZ 2022, 383 = Rpfleger 2021, 700 = FamRB 2022, 67 = FGPrax 2021, 272 = MDR 2022, 173 = Seniorenrecht aktuell 2022, 39 = BtPrax 2021, 239 [Ls] = ZEV 2022, 119 [Ls]

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Geschäftsunfähigkeit; Vertretung des Kindes; Grundstücksüberlassungsvertrag; Vertragsschluß durch Vertreter ohne Vertretungsmacht; Erklärung des Ausschlusses der Aufhebung der Miteigentümergemeinschaft; Bewilligung für einen geschäftsunfähigen Minderjährigen durch einen sorgeberechtigten Elternteil; unerlaubtes In-sich-Geschäft.
BGB §§ 104, 177, 181, 749, 1010, 1626, 1629; FamFG § 9; GBO §§ 16, 19

1. Die Erklärung des Ausschlusses der Aufhebung der Miteigentümergemeinschaft ist nicht lediglich rechtlich vorteilhaft oder zumindest neutral.
2. Wird in einem Grundstücksüberlassungsvertrag die Eintragung eines solchen Ausschlusses für einen geschäftsunfähigen Minderjährigen durch einen sorgeberechtigten Elternteil bewilligt, der wie der Minderjährige einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück erhält, ist die Bewilligung wegen des Vorliegens eines unerlaubten In-sich-Geschäfts unwirksam.
3. Dies hindert, wenn ein innerer Zusammenhang mit der Grundstücksüberlassung besteht, auch die Eintragung der Auflassung.

OLG München, Beschluß vom 28. September 2021 - 34 Wx 253/21
NJW-RR 2022, 166 = NZFam 2022, 236 = FamRB 2022, 19 = Rpfleger 2021, 691 = FGPrax 2021, 249 = NotBZ 2022, 150 = ZEV 2022, 290 = RNotZ 2021, 587 = DNotI-Report 2021, 166 = FamRZ 2022, 701 [Ls] = ZfIR 2021, 599 [Ls]

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Elterliche Sorge; Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Durchführung einer Covid-19-Impfung auf einen Elternteil.
BGB § 1628

1. Es ist nicht zu beanstanden, bei einer Entscheidung gemäß § 1628 BGB von den Impfempfehlungen der STIKO auszugehen, die als medizinischer Standard anerkannt sind. Von diesem Grundsatz ist aufgrund der Tatsache, daß es sich bei der Covid-19-Impfung nicht um eine langjährig bewährte Standardimpfung, sondern um einen völlig neuen Impfstoff handelt, nicht abzuweichen.
2. Es liegt - ausgehend von der Impfempfehlung der STIKO - letztendlich allein in der Verantwortung der Ärzte, Impfungen durchzuführen, die konkreten Impfrisiken für ein Kind in Anbetracht von Vorerkrankungen zu berücksichtigen, und dementsprechend eine Impfung durchzuführen oder nicht.

OLG München, Beschluß vom 18. Oktober 2021 - 26 UF 928/21
FamRZ 2021, 1980 = FuR 2022, 147 = NJW-RR 2022, 9 = NZFam 2022, 223

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; sofortige Beschwerde gegen eine Vorlageverfügung; Ablehnung eines Arrestantrages in Familienstreitsachen ohne mündliche Verhandlung; sofortige Beschwerde nach ZPO-Vorschriften als statthaftes Rechtsmittel.
FamFG §§ 38, 58, 63, 113, 119; ZPO §§ 567, 572, 924

1. Gegen einen Beschluß, mit dem das Familiengericht einen Arrestantrag ohne vorherige mündliche Verhandlung abgelehnt hat, ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung, und nicht die Beschwerde nach § 58 FamFG das statthafte Rechtsmittel.
2. Gemäß § 113 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 572 Abs. 1 ZPO hat das Gericht, dessen Entscheidung mit der sofortigen Beschwerde angefochten wird, zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung ohne Vorlage an das Beschwerdegericht zu ändern ist. Grobe Verstöße gegen die Überprüfungspflicht können als wesentlicher Verfahrensmangel angesehen werden, der zu der Aufhebung des Vorlagebeschlusses und zu der Zurückverweisung des Verfahrens führen kann.

OLG München, Beschluß vom 28. Oktober 2021 - 2 UF 1119/21

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Erbrecht; Auslegung von vertragsmäßigen Verfügungen in einem Erbvertrag; Wegfall des eingesetzten Schlußerben infolge Vorversterbens; Verwendung der Klausel »Sonst wollen wir nichts bestimmen«.
BGB §§ 157, 2084, 2096, 2278

Zu der Auslegung von vertragsmäßigen Verfügungen in einem Erbvertrag bei Wegfall des eingesetzten Schlußerben infolge Vorversterbens bei Verwendung der Klausel »Sonst wollen wir nichts bestimmen«.

OLG München, Beschluß vom 3. November 2021 - 31 Wx 110/19
FamRZ 2022, 485 = FuR 2022, 111 = NJW-RR 2021, 1593 = ZErb 2022, 28 = Rpfleger 2022, 262 = ErbR 2022, 133 = FGPrax 2022, 43 = DNotZ 2022, 110 = BWNotZ 2021, 460

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Erbrecht; Prüfungskompetenz des Nachlaßgerichts in Eröffnungsverfahren betreffend letztwillige Verfügungen.
FamFG § 348

1. Die Prüfung des Nachlaßgerichts im Rahmen eines Eröffnungsverfahrens betreffend letztwillige Verfügungen ist von vornherein allein auf die summarische Prüfung hinsichtlich des Vorliegens einer letztwilligen Verfügung beschränkt.
2. Für eine inhaltliche Prüfung des Regelungsinhalts und -umfangs letztwilliger Verfügungen ist in Eröffnungsverfahren kein Raum.

OLG München, Beschluß vom 3. November 2021 - 31 Wx 166/21
FamRZ 2022, 659 = NJW-RR 2022, 10 = FGPrax 2021, 280 = ZEV 2022, 41 = Rpfleger 2022, 135 = BWNotZ 2021, 463 = ErbR 2022, 156 = DNotZ 2022, 122 [Ls]

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Erbrecht; Pflichtteilsrecht; Verjährungsbeginn eines Pflichtteilsanspruchs; Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung.
BGB §§ 199, 2303

1. Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung setzt voraus, daß der Pflichtteilsberechtigte den wesentlichen Inhalt der beeinträchtigenden Verfügung erkannt hat; dazu ist eine in die Einzelheiten gehende Prüfung der Verfügung, und eine fehlerfreie Bestimmung ihrer rechtlichen Natur nicht erforderlich.
2. Die erforderliche Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung kann fehlen, wenn der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam, und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind.
3. Hieraus folgt, daß stets eine Betrachtung im Einzelfall geboten ist; allein das Fortdauern eines Erbscheinverfahrens führt daher nicht dazu, daß von Unkenntnis auszugehen ist.
4. Der Beginn der Verjährungsfrist wird nicht (nachträglich) hinausgeschoben, wenn die Rechtslage unsicher wird, nachdem die Verjährungsfrist zu laufen begonnen hat.

OLG München, Urteil vom 22. November 2021 - 33 U 2768/21
ErbR 2022, 252 = ZAP EN-Nr. 634/2021 [Ls]

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Erbrecht; Ehegattentestament: Auslegung der Formulierung »Bei einem gemeinsamen Tode z.B. Unfall fällt der gesamte Nachlaß an …«.
BGB § 2269

1. Zu der Auslegung der von Ehegatten - neben ihrer letztwilligen Verfügung der gegenseitigen Einsetzung als Alleinerben - verwendeten Klausel »Bei einem gemeinsamen Tode zum Beispiel Unfall fällt der gesamte Nachlaß an unsere Nichte …«.
2. Eine solche Formulierung kann im Einzelfall auch die Auslegung ergeben, daß die Ehegatten nicht nur den Fall des gleichzeitigen Todes geregelt wissen wollten, sondern auch ein zeitliches Nacheinanderversterben unter der Voraussetzung, daß der überlebende Ehegatte nach dem Tode des Vorversterbenden nicht mehr in der Lage ist, eine (weitere) letztwillige Verfügung von Todes wegen zu errichten.
3. Eine Hinderung des überlebenden Ehegatten an der Errichtung einer (weiteren) letztwilligen Verfügung von Todes wegen kann auch darin liegen, daß er aufgrund einer dementiellen Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, eine letztwillige Verfügung zu treffen.

OLG München, Beschluß vom 1. Dezember 2021 - 31 Wx 314/19
FamRZ 2022, 483 = NZFam 2022, 85 = Rpfleger 2022, 203 = ErbR 2022, 246 = ZEV 2022, 21 = ZErb 2022, 25

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Erbschaft; Annahme einer Erbschaft; Unterzeichnung des Formulars einer Bank.
BGB §§ 1943, 1944, 1945

Diente die Unterzeichnung des Formulars einer Bank dazu, Auskunft über den Bestand und den konkreten Umfang der Konten des Erblasser zu erlangen, dann stellt eine solche Maßnahme keine schlüssige Annahme der Erbschaft dar, sondern dient der Abklärung der Entscheidung über die Annahme der Erbschaft, wie auch dazu, diese Entscheidung auf eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage zu stellen.

OLG München, Beschluß vom 22. Dezember 2021 - 31 Wx 487/19
FamRZ 2022, 563 = FGPrax 2022, 83 = ErbR 2022, 416 = ZEV 2022, 207

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